Auf wie viele Wesenszüge einer Demokratie können wir oder dürfen wir während einer Krise verzichten?
Hör- und lesbare Perspektiven über Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie – aus Politik, Journalismus, Wissenschaft, der organisierten Zivilgesellschaft und der Verwaltung.
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Inhaltsverzeichnis
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- Peter Bußjäger – Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck und Professor am Institut für öffentliches Recht der Universität Innsbruck
- Tamara Ehs – Demokratie Wissenschafterin
- Judith Kohlenberger – Kulturwissenschaftlerin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien
- Theodor Öhlinger – Emeritierter Professor für Verfassungsrecht und Europarecht an der Universität Wien
- Melanie Sully – Leiterin des Go-Governance Instituts
- Heidi Glück – Politik und Kommunikationsberaterin
- Jennifer Kickert – Abgeordnete der Grünen zum Wiener Gemeinderat und Landtag
- Karin Kneissl – Autorin, ehemalige Außenministerin
- Maria Maltschnig – Direktorin des Karl Renner Instituts
- Bettina Rausch – Präsidentin der politischen Akademie
- Christian Tesch – Politische Akademie
- Emil Brix – Direktor der Diplomatischen Akademie
- Hermann Arnold – Demokratie Unternehmer
- Marion Breitschopf – Leitung der Transparenzplattform “Meine Abgeordneten”
- Roland Jaritz – Aktiv Demokratie
- Elmar Luger – Jugendkoordinator der Stadt Dornbirn
- Maximilian Rau – ponto- Grassroots Think Tank für Europa und Außenpolitik
- Angelika Simma-Wallinger – Hochschullehrerin für mediale Gestaltung an der Fachhochschule Vorarlberg
- Ruth Williams – Generalsekretärin Verband für gemeinnütziges Stiften
- Bruno Kaufmann – Globaler Demokratie Korrespondent für den Schweizer Rundfunk
- Daniela Kraus – Generalsekretärin vom Presseclub Concordia
- Moritz Moser – Addendum
Intro Rundruf #1
Einen Monat vor der US-Präsidentschaftswahl 1944 wies Franklin D. Roosevelt in einer Ansprache republikanische Versuche, fast zwei Drittel der Soldaten und große Teile der amerikanischen Bevölkerung vom Wahlrecht fernzuhalten, zurück, denn Wahlen seien der sicherste Schutz gegen die Schwächung der Demokratie. Auch und vor allem in schwierigen Zeiten, wie etwa während eines Weltkrieges.
Demokratie ist wie ein Kartenhaus. Es bleibt stehen, wenn ein, zwei Karten rausgezogen werden, aber es wird instabil, bis es irgendwann in sich zusammenfällt.
Auf wie viele Wesenszüge einer Demokratie können wir oder dürfen wir während einer Krise verzichten?
Es folgen die Antworten die wir bekommen haben als transkribierter Text.
Peter Bußjäger
Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck und Professor am Institut für öffentliches Recht der Universität Innsbruck
Ich glaube, wir können eigentlich überhaupt auf keine Wesenszüge der Demokratie verzichten. Wir haben nur Demokratie als Gesamtes oder wir haben sie eben nicht. Und wir können weder auf bestimmte Aspekte der Demokratie verzichten, noch können wir sie einschränken. Was Demokratie allerdings muss: Demokratie muss flexibler sein. Demokratie muss auch schneller sein.
Es ist ganz klar, dass Entscheidungen in einer Krisensituation rasch getroffen werden müssen. Aber das entbindet nicht von den Verpflichtungen, diese Demokratie abzusichern und jede Entscheidung muss demokratisch legitimiert sein.
Tamara Ehs
Demokratie Wissenschafterin
Ich beobachte mit einiger Sorge die weitgehend kritiklose Hinnahme der Außerkraftsetzung unserer politischen Grundrechte. Wahlen sind verschoben, der Zugang zur Unterstützung von Volksbegehren ist erschwert, und Demonstrationen werden pauschal untersagt. Während der Gemeinderatswahlen in der Steiermark und in Vorarlberg bald nachholen können und die Fristen für Volksbegehren bereits verlängert sind, trifft uns der unverhältnismäßige Eingriff in die Versammlungsfreiheit am stärksten. Denn unseren Protest zum Beispiel gegen die Covid- 19 Maßnahmen Gesetze müssen wir jetzt kundtun. Er ist nicht aufschiebbar, nicht nachzuholen und daher jener Wesenszug der Demokratie, auf denen wir in einer Krise nicht verzichten können.
Außerdem handelt es sich bei der Versammlungsfreiheit um ein Menschenrecht, das heißt, sie steht der gesamten Bevölkerung zu, nicht nur den StaatsbürgerInnen und Staatsbürgern, also nicht nur jenen, die auch an der Wahlurne ihre politische Meinung kundtun können, sondern allen, die hier leben.
Als Menschenrecht ist die Versammlungsfreiheit besonders geschützt, und Eingriffe in dieses Recht müssen auf parlamentarischen Gesetzen beruhen, nicht bloß auf Verordnungen oder Erlässen oder gar bloß auf einer Pressekonferenz von Regierungsmitgliedern.
Die staatlichen Organe, insbesondere die Polizei, ist mit dem Schutz des demokratischen Grundrechts beauftragt.
Die Versammlungsfreiheit ist hier noch etwas, das die Republik zu gewährleisten hat, nicht etwas, das sie bloß gewährt. Der Unterschied ist wesentlich. Das deutsche Bundesverfassungsgericht entschied daher vergangene Woche in einem Eilverfahren, dass ein absolutes Versammlungsverbot unzulässig sei. Der österreichische Verfassungsgerichtshof wird wohl zum gleichen Ergebnis kommen, was den politischen Verantwortlichen aber auch wohl bewusst ist. Der schlampige Umgang mit unseren demokratischen Rechten oder gar die bewusste inKaufnahme von Verfassungswidrigkeit wäre somit schon Grund genug für eine Demonstration.
Judith Kohlenberger
Kulturwissenschaftlerin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien
Ich möchte auf einen Wesenszug der Demokratie eingehen, der zwar per Definition nicht unbedingt gegeben sein muss in dieser Staatsform, der aber allen modernen und allen westlich geprägten Demokratien innewohnt, nämlich die Rechtsstaatlichkeit.
Und hier möchte ich gerne einen Aspekt der Rechtsstaatlichkeit aufgreifen, der mich auch in meiner Forschung beschäftigt, nämlich die Garantie der Grundrechte jedes bzw. jeder Einzelnen gegenüber dem Staat.
Aufgrund der aktuellen Situation scheinen mir dabei folgende besonders relevant zu sein:
Das ist erstens ein gleichberechtigter Gesundheitszugang für alle. Gesundheit ist ein Menschenrecht, und zwar unabhängig vom Alter, Geschlecht, Einkommen, Religion oder Aufenthaltsstatus. Jeder in Österreich lebende Mensch hat laut der Menschenrechtskonvention ein Recht auf das höchste erreichbare Maß körperlicher und seelischer Gesundheit. Aus vielen Studien wissen wir aber, dass z.B. Menschen mit Migrationshintergrund medizinische Leistungen wesentlich seltener in Anspruch nehmen als Menschen ohne Migrationshintergrund, weil eben Migrantinnen und Migranten mit zahlreichen Barrieren im Zugang zum Gesundheitssystem konfrontiert sind. Eine besonders prekäre Gruppe hier sind Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis, da sie im Grunde durch das vorhandene soziale Netz fallen und ihr Menschenrecht auf Gesundheit nicht erfüllt wird.
Genau dieser Umstand steht ja in Italien auch im Verdacht, zu einer raschen Ausbreitung des Virus beigetragen zu haben. Zehntausende dokumentierte chinesische Näherinnen, die in den großen Modemetropole des Landes tätig waren, hatten keine Versicherung. Sie konnten sich im Falle einer Erkrankung nicht testen und auch nicht behandeln lassen. Sie haben aber in ihren engen Arbeitsstätten das Virus rasch weitergegeben. Und das zeigt meiner Meinung nach sehr deutlich, wie wichtig die Wahrung des Menschenrechts auf Gesundheit in Demokratien ist. Wichtig nämlich für die gesamte Wohnbevölkerung, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Das zweite Grundrecht, das ich ganz kurz ansprechen möchte, ist der gleichberechtigte Zugang zu Bildung. Wenn dieser Zugang so wie jetzt vor allem digital stattfindet, dann muss das eben für alle gelten. Und dadurch müssen auch entsprechende Voraussetzungen für alle geschaffen werden. Und das ist bis dato aber nicht passiert. Das Recht auf Bildung ist aufgrund des Schulschließungen für viele Kinder nicht gegeben. Darauf hat auch die Unesco zuletzt in einer Aussendung hingewiesen. In Österreich ganz konkret sehen wir, dass bereits jetzt die Schere zwischen Kindern aus bildungsfernen und bildungsnahen Haushalten stärker aufgeht.
Das betrifft wiederum Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ganz besonders. Sie haben in der jetzigen Situation oft gar keine Möglichkeit zum Deutsch sprechen und Deutsch üben. Ihre Eltern, die oft selbst nicht ausreichend Deutsch sprechen oder aber als Systemerhalter in Supermärkten oder in der Gebäudereinigung arbeiten müssen, können nur wenig helfen. In vielen Familien fehlt es auch an Laptops und Internetzugang. Neben dieser Infrastruktur braucht es aber auch zielgruppengerichtete Unterstützung durch eine möglichst engmaschige Betreuung. Ich glaube, für unsere Demokratie ist Bildung ein ganz wesentlicher Eckpfeiler, damit Kinder und Jugendliche zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern heranwachsen können.
Theodor Öhlinger
Emeritierter Professor für Verfassungsrecht und Europarecht an der Universität Wien
Es stellt sich zunächst die Vorfrage – Was sind überhaupt Wesenszüge einer Demokratie? Ich würde erstens nennen: Freie Wahlen in regelmäßigen Abständen. Natürlich kann man in einer Krise, wie sie derzeit besteht, über kurzfristige Verschiebungen solcher Wahlen diskutieren. Zweiter Wesenszug ist für mich ein Parlament, das vor allem der Opposition umfangreiche Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung einräumt.
Diese dürfen auch in einer Krise, wie wir sie derzeit haben, nicht eingeschränkt werden. Und ein drittes, ganz wesentliches Element einer Demokratie ist eine freie Presse.
Die Möglichkeiten der Presse, die Regierung zu kontrollieren und Maßnahmen der Regierung zu diskutieren, dürfen in meinen Augen auf keinen Fall eingeschränkt werden.
Das negative Gegenbeispiel wäre Ungarn.
Melanie Sully
Leiterin des Go-Governance Instituts
Es ist völlig ist klar, dass derzeit die Demokratie, die Politik auch im Krisenmodus funktioniert. Wie können wir das sehen? Zum Beispiel in Großbritannien: die Nachwahlen zum Parlament sind für heuer zumindest abgesagt. Die Londoner Bürgermeisterwahl wird nächstes Jahr stattfinden, aber die Amtsperiode wird gekürzt von vier Jahren auf drei. Das Parlament hat die wichtige Aufgabe, die Kontrolle der Regierung zu überprüfen, Fragen zu stellen. Aber das ist schwierig. Es ist auch schwierig, Abstimmungen zu halten. Es kann eine elektronische Abstimmungsanlage geben, aber auch dafür müssen die Abgeordneten im Gebäude sein.
Wir denken an eine Internet- Fernabstimmung. Aber diese Technologie ist derzeit nicht entwickelt. Was immer das ist, die Demokratie muss Abstriche hinnehmen. Es kommt darauf an, was für eine Demokratie. Es gibt verschiedene Arten von Demokraten, es gibt Liberaldemokraten, und sie wollen weniger Staat haben. Es gibt konservative Demokraten, und sie können gern umgehen mit der staatlichen Intervention.
Alle Maßnahmen aber sollen befristet sein, damit wir das überprüfen können. Und das ist das Wichtigste für die Demokratie.
Heidi Glück
Politik und Kommunikationsberaterin
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt im Deutschen Bundestag, Corona sei eine demokratische Zumutung. Gemeint hat sie wohl “Zumutung für unsere Demokratie”, also die Herausforderung, wie weit staatlich verfügte Eingriffe in unsere Freiheits- und Grundrechte gerechtfertigt sind. Mit dem Argument, unsere Gesundheit mit fast allen Mitteln sicherzustellen. Es geht um die Frage: Was muss dem Primat der Gesundheit für möglichst viele im Kampf gegen die Corona Pandemie untergeordnet werden?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass für die Bewältigung dieser Krise Einschränkungen klar zeitlich befristet unumgänglich sind. Und zwar all jene, die medizinisch begründet dazu beitragen, die Infektionsgefahr zu minimieren. Also eingeschränkten Ausgang, social distancing und Maskenpflicht, um das Ansteckungspotential zu reduzieren. Es braucht klare Regeln, die für alle uneingeschränkt gelten, und die Disziplin, diese auch einzuhalten. Das höhlt aus meiner Sicht die Demokratie eines Landes noch nicht aus. Eine Pandemie braucht eben diese Eigenverantwortung und die Solidarität für jene, die besonders gefährdet sind.
Das Wesen unseres demokratischen Systems ist dann nicht gefährdet, wenn es eine begleitende Kontrolle zu den von der Regierung auf kurzem Weg beschlossenen Verordnungen oder Erlassen gibt.
Die Wesenszüge einer Demokratie bleiben vor allem dann aufrecht, wenn die Vorgaben der Politik auf einem möglichst breiten Konsens aller relevanten politischen Entscheidungsträger nicht nur in der Regierung beruhen.
Es braucht eine Balance zwischen dem Schutz besonders gefährdeter und möglichst viel Freiheit aller Menschen. Transparenz, öffentlicher Diskurs und schonungslose Analyse der Maßnahmen sind unverzichtbar.
Jennifer Kickert
Abgeordnete der Grünen zum Wiener Gemeinderat und Landtag
Auf die Frage, auf wie viele Wesenszüge einer Demokratie wir verzichten dürfen während einer Krise, möchte ich antworten auf keine. Das mag vielleicht eine semantische Spielerei sein, aber ich glaube, es ist ein Unterschied zwischen einem Verzicht auf ein Recht oder der Akzeptanz der Einschränkung. Wir akzeptieren im Moment wesentliche Einschränkungen unserer Freiheiten, wie Bewegungsfreiheit, Reisefreiheit, Versammlungsfreiheit, aber auch in ganz, ganz starkem Maße Recht auf Erwerbsfreiheit und Erwerbsarbeit.
Aber wir brauchen gleichzeitig eine Abwägung der Härte der Maßnahmen, eine politische Debatte über die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen und eine Debatte auch über ihre zeitliche Ausdehnung. Es ist zum Beispiel ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Ausgangssperre und einer Kontaktbegrenzung im öffentlichen Raum.
Ich finde, wir sollten bei allen Maßnahmen die Bürger*innen als eigenverantwortliche Menschen ansprechen und sie eigenverantwortlich handeln lassen.
Ein zweiter Punkt, auf den ich achten möchte, ist, dass das Verständnis für weniger privilegierte Personengruppen nicht verloren geht. Das heißt, ich glaube, die Demokratie ist kein Hindernis zur Bewältigung der Krise, sondern die Demokratie mit ihren unabhängigen Institutionen und der öffentlichen Debatte sind eine Grundvoraussetzung, um die bestehende Krise mit ihren Herausforderungen zu überstehen oder gemeinsam zu überwinden.
Karin Kneissl
Autorin, ehemalige Außenministerin
“Auf welche Wesenszüge der Demokratie können wir in Krisenzeiten verzichten?” Da lautet meine Antwort auf keinen.
Das, was die Demokratie ausmacht, ist Rechtsstaatlichkeit, ist wechselseitige Kontrolle der Gewalten Exekutive, Legislative und Justiz.
Sehr klar ausformuliert hat das der Rechtsphilosoph Montesquieu vor schon bald 300 Jahren. Natürlich wissen wir, dass das in vielen Demokratien nicht so praktiziert wird, aber nichtsdestotrotz gilt es, danach zu streben.
In Österreich haben wir in Form der Staatsgrundgesetze von 1867, Erbe der bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts eine sehr klare Auflistung der Grund- und Bürgerrechte, die bis heute die Basis ausmachen und eben in Verfassungsrang stehen.
Hier möchte ich zwei ganz klar ansprechen: Das eine, das Recht auf Versammlungsfreiheit im 19. Jahrhundert immer wieder erkämpft und dann gewährt wurde – damals eine Monarchie von Gottesgnadentum, aber sehr, sehr klar normiert, heute da und dort hinterfragt. Wir kennen die aktuellen Hintergründe.
Das andere ist Enteignung jetzt im Zusammenhang mit der Verunmöglichung so manchen Wirtschaftens und den damit im Zusammenhang stehenden Methoden der Entschädigung.
Das wären so wesentliche Gedanken, und ich glaube, dieses Thema hat Philosophen und Kommentatoren immer wieder aufs Neue bewegt. Einen französischen Autor, den ich noch persönlich kennenlernen durfte, und ein Buch unter diesem Titel 1986 verfasste Jean-François Revel mit dem Titel “So enden Demokratien” hat er damals bereits seine Sorgen zum Ausdruck gebracht. Er sprach von der autoritären Versuchung.
Maria Maltschnig
Direktorin des Karl Renner Instituts
Wir beobachten sehr genau, wie sich die Krisenmaßnahmen in Österreich und in anderen Ländern auf Demokratie, Grund- und Freiheitsrechte auswirken. Und da sehen wir schon, dass es einige besorgniserregende Entwicklungen gibt. Eines der drastischen Beispiele ist die Selbstausschaltung des ungarischen Parlaments auf unbefristete Zeit. Und da sind wir auch schon bei einem ersten, sehr zentralen demokratiepolitischen Thema. Gerade in so einer Krise müssen die politischen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger eine vollumfängliche Funktionsfähigkeit des Parlaments sicherstellen.
Dazu gehört zum einen die Aufrechterhaltung aller Strukturen und Abläufe.
Und zum anderen aber auch, dass die Regierung gerade in so einer Situation alle Parlamentsparteien besonders eng einbinden müsste, was momentan in Österreich nicht der Fall ist.
Das zweite Thema ist Transparenz und Diskurs. Entscheidungen aufgrund von Informationen zu Fällen, die nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind, ist in unserer jetzigen Situation keine gute Idee. Entscheidungen müssten auf der Grundlage von transparenten und nachvollziehbaren Daten gefällt werden und müssen auch nachvollziehbar diskutiert werden.
Perspektivisch, und das ist mein dritter Punkt, ist die große Herausforderung für die Gesellschaft, und das betrifft natürlich nicht nur Österreich, dass die Verteilungsfrage eine offene und eine dramatische ist. Wir sehen eine massive Kapitalkonzentration. Der Internationale Währungsfonds hat deshalb bereits letztes Jahr Alarm geschlagen. Und die Krise könnte zum einen eine Zunahme dieser Konzentration von Kapital mit sich bringen und führt zum anderen dazu, dass jene, die ohnehin nicht viel haben, am meisten verlieren. Es ist sowohl für die wirtschaftliche Entwicklung und eine gerechte Gesellschaft als auch für die Demokratie ein riesiges Problem, da zuviel Geld in wenigen Händen auch zu viel Macht in wenigen Händen bedeutet. Das führt dazu, dass große Unternehmen und Vermögende einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die demokratischen Entscheidungsstrukturen haben. Deshalb müssen jetzt kleine Unternehmen und Menschen mit niedrigen Einkommen besonders geschützt werden. Und es braucht einen starken Fokus auf die Frage, wer die Krisenkosten bezahlt. Und das Ringen darum hat auch bereits begonnen.
Bettina Rausch
Präsidentin der politischen Akademie
Die Frage, auf wie viele Wesenszüge der Demokratie können wir oder dürfen wir während einer Krise verzichten? Mag ich wie folgt antworten: Auf keine. Österreich ist eine demokratische Republik, so steht es schon im ersten Satz unserer Bundesverfassung und das ohne Einschränkung, ohne Relativierung. Es ist aber natürlich das Wesen von Wesenszügen, dass in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gelebt werden. Vieles, was vor 50 Jahren selbstverständlich war, wäre heute für uns undenkbar und würden wir heute als undemokratisch bezeichnen.
So ist für mich auch klar, dass in einer Krise, wie es die 1945 nicht gab, Demokratie anders funktioniert. Aber sie funktioniert und ich bin stolz, dass wir das in Österreich so schaffen. All unsere demokratisch gewählten und dadurch legitimierten Institutionen sind ja “in Charge”. Vom Bundespräsidenten über das Parlament bis zur Bundesregierung und viele andere auch, genauso wie die Gerichtsbarkeit.
Alle Maßnahmen, die jetzt gesetzt werden, werden von den demokratischen, verfassungsmäßig befugten Organen beschlossen oder getroffen und unterliegen alle der Gerichtsbarkeit und auch dem freien öffentlichen Diskurs, also auch der Kritik.
Es ist wahrlich nicht leicht, in einer solchen Zeit politische Entscheidungen zu treffen. Es gilt immer abzuwägen zwischen verschiedenen Werten, Bedürfnissen und Interessen. Es sind Güterabwägungen, die in der Krise vielleicht anders ausfallen als sonst – deutlicher. Aber solche Abwägungen gehören immer zur Demokratie. Gesundheit und der Schutz von Menschenleben stehen aktuell ganz weit oben, dominieren auch über andere Werte und Bedürfnisse. Die unantastbare Würde des Menschen erfordert es aber, zuvorderst zu leben. Es überrascht mich also nicht, dass es gerade mit einer türkis -grünen Zusammenarbeit so selbstverständlich ist, die Würde der Menschen und damit deren Leben zu schützen und voranzustellen.
Christian Tesch
Politische Akademie
Wir haben ja momentan eine spannende Situation: auf Twitter sieht man das Ende der Demokratie herannahen, in der Bevölkerung steigt die Zufriedenheit mit der Demokratie. Aktuell mitten in der Krise liegt die Zufriedenheit mit Demokratie bei 78 Prozent, also 20 Prozent mehr als im Jänner, als vor der Krise. Ein ähnliches Ergebnis einer internationalen Gallup Studie sagt 95 Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass Demokratie in so einer Krise effizient ist. In derselben Studie, wieder für Österreich, kommt heraus, dass 86 Prozent bereit sind, Einschränkungen ihrer Bürgerrechte vorübergehend in Kauf zu nehmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.
Hohe Zufriedenheit bei den Menschen, aber kritische, sorgenvolle Kommentierung auf Twitter und in vielen Medien. Ein vermeintlicher Widerspruch, dessen Auflösung vielleicht in der Begriffsfrage selbst liegt: Woher kommt er also, der Begriff Demokratie? Rein sprachlich bedeutet er schlicht “die Herrschaft des Volkes”. Historisch ist das auch die Entwicklung seit der Antike, seit Athen und Rom. In der modernen Zeit ist diese Volksherrschaft natürlich anders umgesetzt im System der repräsentativen Demokratie. Oder anders gesagt: Politisches Handeln wird durch Wahl an Vertrauensleute delegiert, über deren Performance bei der nächsten Wahl wiederum entschieden wird. Das ist der Kern von Demokratie, auch in der Krise.
In der Krise erwarten die Menschen eben, dass Gesundheit, dass das Leben Vorrang hat und man ist bereit, auf anderes zu verzichten, vorübergehend natürlich.
So gesehen löst sich der vermeintliche Widerspruch leicht auf, und wir müssen auf gar keine Wesenszüge der Demokratie verzichten.
Emil Brix
Direktor der Diplomatischen Akademie
Gerade in einer Krise wie der aktuellen, dürfen wir auf keinen der Wesenszüge einer Demokratie verzichten. Was aber Tatsache ist, dass das Dreiecksverhältnis Staat, Markt, Zivilgesellschaft in Zeiten des Ausnahmezustandes in Richtung Staat deutlich verschoben wird und die Zeit für öffentliche Diskurse über Notmaßnahmen, aber auch für parteipolitische ideologische Auseinandersetzungen geringer geworden ist. Das, was wir in der Demokratie an Pluralität verlangen, ist nicht mehr in einem ausreichendem Maße gegeben.
Ich denke, gerade deshalb ist die Frage des Verzichtens von Freiheitsrechten von mehreren Prinzipien abhängig.
Dort, wo der Staat handelt, muss er nachvollziehbar handeln. Er muss verhältnismäßig handeln. Er muss zeitlich begrenzt seine Maßnahmen setzen, und er muss transparent handeln.
All diese Fragen sind Wesensmerkmale, die gerade in einer Krise wie der aktuellen unverzichtbar sind. Mir scheint diese Frage der Unverzichtbarkeit dieser Prinzipien wichtiger als die Frage, wie viel wir an einzelnen Freiheitsrechten, an wen abgeben und abtreten und wie die Umsetzung dieser Abtretung erfolgt.
Ein Punkt noch vielleicht der wesentlich ist: Wir dürfen nicht darauf verzichten, dass das Zustandekommen dieser Maßnahmen in einem parlamentarisch abgesicherten und im Verfassungsrang stehenden Weise erfolgt.
Hermann Arnold
Demokratie Unternehmer
Während einer Krise sind wir alle bereit, auf Rechte zu verzichten.
Die Geschichte zeigt jedoch, dass die Einschränkungen dieser Rechte die Krisen meist sehr lange überleben, und nur selten vollständig zurückgenommen werden.
Aus diesem Grunde müssen wir sehr wachsam sein, dass wir keine wesentlichen Charaktereigenschaften der Demokratie aufgeben und dass wir Einschränkungen möglichst zeitlich begrenzt zugestehen und nicht ohne jegliche Begrenzung. Dies scheint in einer Krise sehr schwierig. Aus diesem Grunde müssen wir darauf bedacht sein, dass wir eine Rücknahme dieser Einschränkungen nach der Krise sehr vehement einfordern.
Marion Breitschopf
Leitung der Transparenzplattform “Meine Abgeordneten”
Demokratie ist kein Kleidungsstück, das wir nach Belieben an- oder ausziehen können. Besonders in Krisenzeiten müssen Handlungen und Maßnahmen, die in die Grundrechte der Bevölkerung eingreifen, transparent dargestellt und gut argumentiert werden.
Sollte das Gesetz des schnellen Handelns das für kurze Zeit nicht ermöglichen, so muss dies unmittelbar danach erfolgen, wenn die akute Krise zur chronischen wird, ist Transparenz das Gebot der Stunde, verbunden mit einer verstärkten Einbindung der Zivilgesellschaft, der parlamentarischen Opposition, der Medien und der kritischen Öffentlichkeit generell.
Daraus leiten sich aus unserer Sicht drei Forderungen ab:
- Einrichtung eines Covid-19 Ausschusses als Unterausschuss des Budgetausschusses für die begleitende und öffentliche Kontrolle der beschlossenen Milliardenhilfen für die Wirtschaft. Beiziehung von Expertinnen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur begleitenden Beratung der Regierung zu nicht-medizinischen Themen z.B. Armutsbekämpfung, Sozialpsychologie, Gewaltprävention, Politikwissenschaft, Frauenpolitik, Transparenzinitiativen, Datenschutz und ähnliche.
- Die Beistellung der Expertinnen muss transparent erfolgen, die Liste einsehbar sein. Die Ergebnisse dieser Beratungen einschließlich abweichender Meinungen müssen öffentlich werden.
- Veröffentlichung der wissenschaftlichen Grundlagen und Folgenabschätzung für diskutierte und tatsächlich beschlossene Maßnahmen.
Roland Jaritz
Aktiv Demokratie
Ich teile meine Antwort in drei Bereiche: Motiv, Einschränkung Okay, Einschränkung nicht Okay.
Das Motiv muss für mich oder kann für mich nur sein: Alle Einschränkungen dienen nur dem Wohl des Ganzen. Sonst keine Einschränkungen. Von Monat zu Monat neu reflektieren. Konkret hier ist der Fokus “physical distancing” – es geht nicht um “social distancing”.
Einschränkung Okay ist deswegen: Versammlungsfreiheit, die Zusammenarbeit Regierung, Parlament und dass Regierung mehr beschließt. Aber ich würde Regierung plus bevorzugen, dass zumindest die Chefs und Chefinnen der Oppositionsparteien anwesend sind, auch wieder von Monat zu Monat. Es geht um Wir; nicht um ich.
Was nicht Okay ist: Einschränkung von Transparenz, der Meinungsfreiheit, der Kritik, die Sperrung der sozialen Medien, Verfassungsänderung, die Pressefreiheit, ungleiche Förderverteilung und Ressourcenverteilung, das barrierefreie Förderanträge nicht gegeben sind, das Gleichheitsprinzip verletzt wird. Zu starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Die Parks zu sperren zB) und Diskriminierung. Thema Strafe: Für mich gilt Eigenverantwortung vor Strafe. Strafe hat hier keinen Platz.
Wichtig ist mir noch: Fakten Klärung – nachdem wir ja mit Fakten arbeiten und diversen Fakten arbeiten.
Dass die Medien gut recherchieren, wer weiß wirklich, was wirklich los ist? Und reflektieren muss man noch die Änderung des Epidemiegesetzes. Und die Unternehmensschließungen: Unternehmenseinschränkungen hätten vermutlich gereicht.
Elmar Luger
Jugendkoordinator der Stadt Dornbirn
Die Fragestellung, auf wie viele Wesenszüge der Demokratie wir in Krisenzeiten verzichten können, führt mich dazu, mir die wesentlichen Grundsätze einer Demokratie in Erinnerung zu rufen. Eine moderne Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass freie und gleiche Wahlen abgehalten werden. Es geht um den Schutz von Minderheiten, die Akzeptanz einer Opposition, die Verfassungsmäßigkeit der dem Parlament beschlossenen Gesetze und vor allem der Schutz von Grundrechten, Bürgerrechten und Menschenrechten. Nicht zu vergessen die Gewaltenteilung in Judikative, Exekutive und Legislative. Ich frage Sie ernsthaft:
“Auf welche Wesenszüge wollen Sie nun in einer Krise verzichten?” Ich sage ganz klar auf gar keine. Warum lassen Sie es mich mit Gerhard Häfner, ehemaligen Abgeordneten zum Europaparlament, sagen: In seinem Impuls Referat hat er bei der Langen Nacht der Partizipation in Dornbirn im Jahr 2015 (ist auch nachzuhören auf YouTube darauf hingewiesen, dass nicht globale Krankheiten, der Klimawandel oder die Geschlechtergerechtigkeit die großen Herausforderungen für die Menschen sind, sondern eben die Demokratiefrage. Denn die Demokratie regelt, wie wir gemeinsam diese Herausforderungen des gemeinsamen Lebens miteinander meistern und gestalten wollen. Die Demokratiefrage ist daher die Schlüsselfrage für alle anderen Fragen und inhaltlichen Herausforderungen. Die globalen, aber auch lokalen Fragen müssen demokratisch gelöst und gestaltet werden.
Daher müssten wir als Zivilgesellschaft auch in der Krise darauf achten, dass die Demokratie nicht aus den Angeln gehoben wird. Negative Beispiele gibt es ja mehrere, bedauerlicherweise auch in der EU.
Es lohnt sich, sich für die Demokratie einzusetzen, sich zu engagieren und besonders gegenüber den Mächtigen und Entscheidungseliten kritisch und würdigend zu sein.
Denn ich halte es auch mit Winston Churchill, der von der Demokratie einst gesagt hat.
“Wenn es morgens früh an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe.” Also passen wir gemeinsam auf unsere Demokratie auf.
Maximilian Rau
ponto- Grassroots Think Tank für Europa- und Außenpolitik
Wir leben momentan in besonderen Zeiten. Die Pandemie und ihre Auswirkungen fordern unseren Alltag genauso heraus wie unsere Demokratie. Dabei bedeutet Demokratie nicht nur die Aufrechterhaltung von institutionellen Strukturen und Abläufen, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe an Diskursen und Veränderungsprozessen.
Wir von Ponto sind der Überzeugung, dass die Bevölkerung in einer Demokratie während einer Krise gewisse Einschränkungen im Bereich der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit in Kauf nehmen kann.
Diese Einschränkung gilt es allerdings auch gut zu kommunizieren und unter die Kontrolle einer unabhängigen Aufsicht zu stellen. Eine demokratisch gewählte Regierung muss diese Schritte den Bürgerinnen und Bürgern offen darlegen und auch eine Beendigung der Einschränkungen in Aussicht stellen. Mögliche Änderungen sollten nach Rücksprache mit unabhängigen Expertinnen und Experten in regelmäßigen Abständen verkündet werden. Wir finden zudem, dass allen Bürgerinnen und Bürgern besonderer Schutz gegen unverhältnismäßige Rechtsverletzungen während der Krise zustehen sollte. Denn ein demokratischer Staat zu sein bedeutet, Rechtsstaatlichkeit in jedem Fall zu garantieren.
Angelika Simma-Wallinger
Hochschullehrerin für mediale Gestaltung an der Fachhochschule Vorarlberg
Am Intermedia Institut verfolgen wir natürlich die medialen Erscheinungsformen der Corona-Krise ganz genau. Dazu gehören ganz wesentlich die unterschiedlichen Visualisierungen der Fallzahlen von Erkrankten, Genesenen und traurigerweise auch Verstorbenen. Da war sicher ganz zentral, dass Simulationsmodell von Niki Popper von der TU Wien, das am 10. März 2020 in der Zeit im Bild das Ziel von”Flattening the Curve”, nämlich die Spital Kapazitäten nicht zu sprengen, ganz einfach begreifbar gemacht hat.
Zur Erinnerung: Das war jener Tag, an dem die Bundesregierung Beschränkungen der Bewegungsfreiheit angekündigt hat.
Verantwortungsvolle Gestaltung spielt also eine zentrale Rolle, wenn es um den Erhalt der Diskursfähigkeit breiter Bevölkerungsgruppen in der Krise geht, und trägt damit zu einem Wesenszug der Demokratie bei.
Um hier auch gleich noch ganz konkret auf die Fragestellung einzugehen: Auf keinen Wesenszug der Demokratie (laut Duden ein charakteristisches Merkmal) können oder dürfen wir während einer Krise verzichten. Auch nicht auf die Diskursfähigkeit, die einen gemeinsamen Informationsstand zur Basis hat.
Die verantwortungsvolle mediale Vermittlung auf allen Kanälen spielt dabei eine zentrale Rolle.
Ruth Williams
Generalsekretärin Verband für gemeinnütziges Stiften
Prinzipiell denke ich, dass wir aktuell mit der Pandemie und der einhergehenden Krise im Kopf sehr leicht auf grundlegende demokratische Rechte verzichten. Zu leicht. Als Beispiel möchte ich die Versammlungsfreiheit anführen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, wachsam zu sein. Denn wenn diese Krise vorbei ist – und wer sagt denn, wann sie wirklich vorbei ist – müssen wir sehr gut darauf schauen, dass wir für uns die grundlegenden Wesenszüge der Demokratie zurückerobern. Ergänzend möchte ich sagen, dass es wichtig ist,
die besonders in Krisenzeiten hoch relevanten zivilgesellschaftlichen Akteure wie gemeinnützige Stiftungen und NGOs nicht zu vergessen.
Es geht nicht nur darum, auf die Wirtschaft aufzupassen. Auch der dritte Sektor und seine strukturerhaltenden Maßnahmen, die sich oftmals genau an die schwächsten Zielgruppen richten, brauchen besonderes Augenmerk.
Bruno Kaufmann
Globaler Demokratie Korrespondent für den Schweizer Rundfunk
Krisen wie diese halten unserer Welt einen Spiegel vor, einen Spiegel mit einer ungewohnten Tiefenschärfe. Und wie an einem frühen Morgen, wenn wir unsere verschlafenen Gesichter plötzlich in einem frisch geputzten Badezimmerspiegel entdecken, freut es uns nicht unbedingt, was wir da zu sehen bekommen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir den Spiegel vor uns abhängen sollten, sondern ganz im Gegenteil überlegen sollten, was uns an dem, was wir sehen, gefällt und was eben nicht.
So ist es mit der aktuellen Coronakrise und der Demokratie. Die Macht des Volkes gestaltet sich in Ausnahmesituationen etwas anders als im Normalzustand. Und das ist auch gut so. Konkret aus Gesundheitsgründen muss die physische Versammlungsfreiheit in diesen Tagen zurückstehen. Hingegen heißt das noch lange nicht, dass wir uns im Rahmen der Meinungsfreiheit nicht mehr äußern, online diskutieren oder politisch aktiv werden dürfen. Gerade in diesen für uns alle so schwierigen Zeiten zeigt sich eben auch, dass starke Demokratien und starke Gesellschaften mehr sind als einfach Länder mit starken Regierungen, die hart durchgreifen können und denen Polizeiapparate zur Verfügung stehen, welche diese Maßnahmen durchsetzen.
In starken Gesellschaften und starken Demokratien liegt die wichtigste Verantwortung bei jeder einzelnen Bürgerin und jedem einzelnen Bürger, das Ihre und Seine zum Gemeinwohl beizutragen. Das wichtigste Kapital jeder Demokratie ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sich selbst, zu seinen Nachbarn, zum Gemeinderat, der Tageszeitung oder dem Bundeskanzler.
In Krisenzeiten braucht es nicht weniger, sondern mehr Demokratie. Das lässt sich nur schaffen, wenn wir auch in “Nicht- Krisenzeiten” darauf hinarbeiten. Jeder und jede. Immer.
Daniela Kraus
Generalsekretärin vom Presseclub Concordia
Meiner Meinung nach dürfen wir auf die Wesenszüge der Demokratie gar nicht verzichten. Wir müssen schauen, dass alle Maßnahmen, die Grundrechte und Demokratie einschränken, temporär sind und möglichst bald wieder beendet werden.
Mir ist naturgemäß besonders wichtig, dass wir darauf achten, dass die Meinungsfreiheit und vor allem der unabhängige Journalismus und seine Rahmenbedingungen erhalten bleiben.
Das heißt auch, und das ist ein Appell an alle Leser und Leserinnen, dass wir lernen müssen, für digitalen und qualitätsvollen Journalismus zu bezahlen.
Moritz Moser
Addendum
Auf wie viele Wesensmerkmale der Demokratie können wir in der Krise verzichten? Ich glaube, wir haben bisher nicht auf sehr viele eigentlich demokratische Wesensmerkmale verzichtet. Es wurden zwei Gemeinderatswahlen verschoben. Das war es eigentlich auch schon. Ich meine das wenn man das liberale Grundprinzip der Bundesverfassung zur Demokratie dazu zählt, haben wir auf mehr verzichtet. Aber ist es Demokratie, oder ist es schon sogenannter freiheitlicher Rechtsstaat? Ja, da gab es natürlich einige Einschränkungen.
Ich glaube aber nicht, dass es so wichtig ist, auf wie viel man verzichtet, sondern für wie lange. Das Ganze hat einen Horizont. Wir kennen ihn noch nicht unbedingt realpolitisch.
Rechtlich ist es für die meisten Maßnahmen der Juni oder der Dezember.
Und ich hoffe, dass es danach wieder eine alte Normalität geben wird keine neue. Insofern verzichten wir jetzt auf Dinge, aber hoffentlich nicht für lang.
Schicken Sie uns jetzt für den kommenden Rundruf eine aktuelle oder grundsätzliche Fragestellung hinsichtlich der Weiterentwicklung oder Stärkung unserer Demokratie an team@demokratie21.at
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