
Zwischen Coolness-Druck und Fürsorge: Männlichkeitsbilder an der Schule thematisieren
Was tun, wenn Schüler Lehrerinnen keine Autorität zugestehen – weil sie Frauen sind? Wenn Gewalt als Lösung gilt und Schwäche als Makel? In dieser Folge geht es um Männlichkeit in der Schule – und was Politische Bildung gegen toxische Rollenbilder tun kann.
Derzeit gibt es mehrere parallel verlaufende Entwicklungen: Einerseits junge Männer, die Partnerschaftlichkeit und Sorgearbeit wichtig finden. Andererseits jene, die eine Retraditionalisierung einfordern und die gewaltverherrlichende Männlichkeit gut heißen. Ganz unter dem Motto: Ein echter Mann muss sich durchsetzen und darf keine körperliche Auseinandersetzung scheuen.
Wir fragen uns: Wer kann dabei helfen, diese toxische Männlichkeit im Klassenverband in den Griff zu bekommen? Wie kann die emotionale Bildung von Burschen und jungen Männern im Unterricht Platz finden? Warum internalisieren Jugendliche toxische Inhalte über Männlichkeit? Und: Wie kann man alternative, neue Vorbilder wie jenes des fürsorglichen Mannes anbieten?
Fürsorge statt Gewalt
„Ein Krieger kennt keinen Schmerz“: Diese Aussage ist nur ein Beispiel dafür, welches Männerbild Jungs vorgelebt wird. Oft führt das dazu, dass Burschen gar nicht lernen, über ihre Gefühle und Probleme zu sprechen. Kochen die Emotionen dann in ihnen hoch, kann das zu gewaltsamen Ausbrüchen führen. Denn Gewalt und Wut sind Emotionen, die Männern quasi erlaubt sind. Sie stehen nicht in Konflikt mit dem Bild eines “starken Mannes”.
In seiner Arbeit beim Verein Papa Info unterstützt Dieter Breitwieser-Ebster angehende Väter. Ihr Verhalten und ihre Vorstellungen über Männlichkeit prägen Buben und junge Männer. Sie sind ein Vorbild dafür, was einen Mann zum Mann macht. Allerdings gibt es noch immer viele Väter, die ein einziges Männerbild verinnerlicht haben, weil…
…sie oft keine Hilfe in Anspruch nehmen oder irgendwelche Symptome zwar wahrnehmen – ah mir geht es nicht so gut, aber das liegt wahrscheinlich an der Arbeit. Und wenn ich mich da noch ein bisschen mehr anstrenge, dann wird es schon gehen.
Ein möglicher Gegenentwurf ist das Konzept der Caring Masculinity: eine Männlichkeit, die sich über Fürsorge, Verantwortung und Mitfühlen definiert. Sie muss erlebbar werden. Und dazu braucht es Räume, in denen Buben diese Seiten zeigen dürfen. Die Familie kann ein solcher Ort sein. Die Schule auch.
Elli Scambor vom Institut für Männer- und Geschlechterforschung bringt es auf den Punkt:
„Viele Jungs lernen: I don’t care. Also viele Jungs lernen im Wesentlichen: Es ist mir egal. Es kann mir nichts anhaben. Du kannst mir nichts anhaben. Ich bin wehrhaft. Ich bin unverletzbar. […] Und die müssen von diesem ‚I don’t care‘ zu ‚I care‘ kommen.“
Handlungsspielräume erweitern
Die Schule könnte also ein Ort sein, an dem Kinder mit häuslichen Problemen Sicherheit empfinden können. In der Realität wird der Handlungsspielraum vieler Jugendlichen, vor allem jenen mit Migrationshintergrund, auch hier eingeengt, erklärt der Sozialarbeiter Simon Březina.
Ich glaube, das ist die primäre Erlebenswelt von Jugendlichen, gerade auch von jungen, rassifizierten Männern, die auch zum allgemeinen Problem dramatisiert werden. Und die spüren das ja auch. Die spüren das jeden Tag durch Blicke, durch Aussagen, durch fehlende Möglichkeiten.
Anstatt mit ihnen zu arbeiten, ihnen alternatives Verhalten und Männlichkeitsbilder anzubieten, wird vor ihnen gewarnt. Dadurch verengt sich ihr Handlungsspielraum. Sie fühlen sich ausgegrenzt, abgestempelt und sind frustriert.
Für Simon Březina könnte ein wertschätzender Umgang zumindest bei marginalisierten jungen Männern viel Arbeit ersparen. Das zeigt ihm sein Job bei White Ribbon Österreich. Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das heißt, auch viele Österreicher haben eine traditionelle Vorstellung vom “starken Mann” und sind durchaus gewaltaffin. Vor allem, wenn sie sich schwach oder bedroht fühlen. Viele Jugendliche hätten etwa Angst vor Krieg und Gewalt, erzählt Simon Březina.
Die schweigende Mehrheit der Klasse aktivieren
Gewalt besprechbar machen im Unterricht – Aber wie?
Man kann zum Beispiel bei Diskussionen beginnen, die im Unterricht aufkommen, erklärt Alexander Grohs.
Es gibt ein oder zwei, die das Thema pushen. Einige laufen mit und einige versuchen, sich auch hier zu enthalten. Natürlich diskutiere ich mit ihnen, rede ich mit ihnen, nur, wenn ich merke, da geht nichts weiter im Moment, ist nicht mein Ziel, die Person zu überzeugen, sondern alle anderen hören zu, hören mit.
Die schweigende Mehrheit der Klasse aktivieren, anstatt einzelne Schüler:innen an den Pranger zu stellen. Mit dieser Strategie kann eine langfristige Verhaltensänderung von gewaltbereiten Schüler:innen gelingen. Prävention statt Provokation könnte man vielleicht sagen. Dazu müssen Grenzen aufgezeigt werden, meint Alexander Grohs.
Rollenspiele eignen sich in Klassen besonders gut, um für Kinder und Jugendliche andere Perspektiven erlebbar zu machen. Ein Beispiel:
Der Workshopleiter fordert einen Schüler auf, die Rolle eines Bruders einzunehmen und ein anderer soll die jüngere Schwester spielen. Der Bruder erfährt, dass die Schwester ein Instagram-Profil hat und verbietet es ihr. Er fordert sie auf, ihren Account zu löschen.
Nach dem Rollenspiel sollen beide Burschen erzählen, wie sie sich in ihrer Rolle gefühlt haben. Danach dürfen alle Mädchen und Buben in der Klasse ihre Meinung zur Situation teilen. So sollen Jungs erleben, wie es sich anfühlt, dominiert zu werden.
Diese Schulworkshops können einen Anstoß liefern, um Geschlechterrollen zu hinterfragen. All das braucht: Geduld, Klarheit – und Raum für Perspektivenwechsel. Lehrende sollten sich bewusst sein, dass Gewaltprävention nicht über Nacht gelingt, sondern mit Beziehungsarbeit verbunden ist, betont Simon Březina.
Richtig oder Falsch?
Es ist richtig, bereits im Kindes- und Jugendalter alternative, fürsorgliche Männlichkeitsbilder zu vermitteln und dabei sowohl Schule als auch Elternhaus in die Verantwortung zu nehmen. Sind Eltern damit überfordert, kann man sie über niederschwellige Hilfsangebote informieren und motivieren, diese in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig muss die Schule eine sogenannte Schutzzone werden, ein sicherer Ort für Jugendliche, die Gewalt erfahren. Workshops, die sich mit Geschlechterrollen beschäftigen, können zusätzlich helfen.
Es wäre falsch, Jugendliche mit den einseitigen, oft radikalisierten Männlichkeitsbildern aus sozialen Medien allein zu lassen oder sie dafür zu verurteilen, dass sie sich davon angezogen fühlen. Auch die Vorstellung, Männer müssten ihre Probleme grundsätzlich alleine lösen, zementiert ein schädliches Selbstbild, das in Isolation und im schlimmsten Fall in Gewalt münden kann. Wer die Verantwortung für emotionale Bildung und soziale Prägung allein auf die Jugendlichen selbst abschiebt, verkennt die gesellschaftlichen, familiären und strukturellen Ursachen des Problems.
Deshalb ist es richtig, über Männlichkeit und die Reflexion traditioneller Rollenerwartungen auch im Unterricht zu sprechen. Dafür braucht man Zeit und Geduld. Neue Männlichkeitsbilder wie die “Caring Masculinity“, also männliche Fürsorge, öffnen die Handlungsspielräume von Männern. Im besten Fall lernen sie, Empathie, Hilfsbereitschaft und Selbstreflexion als Stärken anzunehmen.
Zu Gast in dieser Folge sind:
- Dieter Breitwieser-Ebster – Kindergartenpädagoge, studierter Sozialarbeiter und Geschäftsleiter im Verein Papa Info
- Simon Březina – Sozialarbeiter in der Gewaltprävention und Männerarbeit bei White Ribbon Österreich, Vorstandsmitglied vom Dachverband Männer-, Väter-, Burschenarbeit Österreich
- Alexander Grohs – Leiter von NEUSTART Niederösterreich und Burgenland, Sozialarbeiter mit Schwerpunkt Bewährungshilfe.
- Elli Scambor – Geschäftsleitung Institut für Männer- und Geschlechterforschung, stellvertretende Vorsitzende im Dachverband Männerarbeit Österreich.
Linktipps zum Weiterlesen & Weiterarbeiten
Unterrichtsmaterialien & Praxishilfen
-
- polis aktuell 2021/08: Moderne Männlichkeit. Der österreichische Boys‘ Day
- Moderne Männlichkeiten – kein Platz für Rollenklischees. Stundenbild, erstellt vom Demokratiezentrum Wien (PDF)
- polis aktuell 2021/09: Tatort Familie. Gewalt gegen Frauen und Kinder
- Toxische Männlichkeit als Quelle von sexualisierter Gewalt? (Jetzt mal konkret! – Anregungen für den Unterricht #7, ufuq, 2023)
Hintergrund & Fachdebatten
- Übergreifendes Thema und Grundsatzerlass Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung
- Caring Masculinities – Bundeszentrale für politische Bildung
- Die White Ribbon Kampagne ist die international größte Bewegung von Männern, die sich für die Beendigung der Männergewalt in Beziehungen einsetzt. Die Kampagne wurde im Jahr 1991 in Kanada ins Leben gerufen.
- Experiment: Darum brauchen Kinder Aufmerksamkeit – Quarks/WDR Dossier zum Still Face Experiment
- „Stärke bedeutet für sich und für andere zu sorgen”: Ein Gespräch über Männlichkeit und die Psyche – Zimt Magazin
Beratung, Forschung & Anlaufstellen
-
- Gewaltprävention
- Kinderschutz – Schutz vor Gewalt und Missbrauch in der Schule
- NEUSTART arbeitet seit 1957 im Bereich der justiznahen Sozialarbeit, der Straffälligenhilfe (Bewährungshilfe, Haftentlassenenhilfe), Opferhilfe und Prävention.
- Verein Papa Info – Infos und Begleitung von (werdenden) Vätern und Bezugspersonen
- VMG-Steiermark – Institut für Männer- und Geschlechterforschung. Außeruniversitäres interdisziplinäres Sozialforschungsinstitut mit Schwerpunkt Männlichkeitsforschung, Intersektionale Analysen und Genderanalyse. (Direktlink zu im Podcast angesprochener Studie, PDF)
- Fachstelle Burschenarbeit Steiermark
Mehr hören bei Richtig & Falsch
- Richtig & Falsch Folge 3: Genderkompetenz im Klassenzimmer
- Richtig & Falsch Folge 27: Handyverbot oder Medienkompetenz?
Gewaltprävention an Schulen
- Bundesministerium für Bildung – Gewaltprävention
- Bildungsdirektion Wien – „Starke Kinder – Sichere Schule“: Gemeinsam gegen Gewalt an Schulen
- Politiklexikon für junge Leute: Gewaltschutzgesetz | Gewaltprävention | Gewalt 2.0/Gewalt im Internet | Gewaltmonopol
- Materialien für die Bearbeitung des Themas Gewalt (www.feel-ok.at,Verein Styria vitalis):
- Gewalt im Überblick
- Arbeitsblätter zum Thema Gewalt für die Arbeit mit Schulklassen
- Projekt „Participation for Protection“:
Medien & Gesprächshilfen zum Amoklauf in Graz
- Das Kriseninterventionsteam des Landes Steiermark und die Bildungsdirektion hielten ein Webinar ab, welches als Orientierung für all jene dienen soll, die mit Schüler:innen über die Ereignisse vom 10. Juni 2025 (BORG Dreierschützengasse) sprechen wollen bzw. müssen. Die Aufzeichnung des Webinars „Drüber sprechen – wie mit Schülerinnen und Schülern über den Grazer Amoklauf reden?
- ZIB Zack Mini – Wie erklärt man Kindern die tragischen Ereignisse in Graz?
- der Standard – Amoklauf an Grazer Schule: Das hilft Kindern beim Umgang mit dem Thema
- Falter: Kinderfragen zum Amoklauf: „Es hilft nicht, wenn Ereignisse beschönigt werden.“ Wie rede ich mit Kindern darüber, was am BORG Dreierschützengasse passiert ist? Die Leiterin der Möwe Kinderschutzzentren Hedwig Wölfl im Gespräch.
Akute Hilfsangebote & Hotlines
- Rat auf Draht
- Elternseite.at
- Gesellschaft zur Förderung der seelischen Gesundheit
- Erste Hilfe für die Seele (pro mente Austria)
- Telefonseelsorge
- Männernotruf
- Männerinfo – Krisenberatung
- Frauenhelpline
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Johanna Hirzberger
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig & Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
0 Kommentare
Hinterlasse einen Kommentar