Wie wenig Wissenschaft braucht die Politik als Entscheidungsgrundlage?
Hör- und lesbare Perspektiven über Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie – aus Politik, Journalismus, Wissenschaft, der organisierten Zivilgesellschaft und der Verwaltung.
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Inhaltsverzeichnis
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- Peter Bußjäger – Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck und Professor am Institut für öffentliches Recht der Universität Innsbruck
- Jakob Moritz Eberl – Wissenschaftler am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien
- Harald Oberhofer – Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien und Mitbegründer der Plattform Registerforschung
- Manfred Prisching – Institut für Soziologie, Universität Graz
- Konstantin Wacker – Assistenzprofessor für Volkswirtschaft an der Universität Groningen
- Heidi Glück – Politik und Kommunikationsberaterin
- Lorenz Jahn – Leiter des Teams Think Tank und Netzwerk der Politischen Akademie der Volkspartei
- Therese Niss – Abgeordnete zum Nationalrat der ÖVP, Bereichssprecherin für Digitalisierung, Forschung und Innovation
- Franz Schausberger – ehemaliger Landeshauptmann Salzburg, Universitätsprofessor für neuere österreichische Geschichte, Leiter des Instituts für Regionen Europas
- Christoph Konrath – Jurist und Politikwissenschaftler im öffentlichen Dienst, Lehrbeauftragter an der Uni Wien und Obmann des Vereins Unsere Verfassung
- Christoph Bösch – freier Publizist und Aktivist für eine direktere Demokratie
- Karl-Heinz Hinrichs – Gründer von EVAL, Umwelt- und Friedensaktivist
- Magda Stumvoll – Präsidentin von Ponto- Grassroots Think Tank für Europa und Außenpolitik
- Christian Weiskopf – Obmann Jugend Dornbirn, Lehrer für politische Bildung an der Polytechnischen Schule Dornbirn
- Eva Linsinger – Nachrichtenmagazin profil, Ressortleiterin Innenpolitik
Intro Rundruf #2
Zwischen Wissenschaft und Politik besteht seit jeher ein Spannungsverhältnis. Wir fordern von der Politik faktenbasierte Entscheidungen – was bei komplexen Themen wie Migration, Klimawandel oder neuen Technologien nicht so einfach ist. Wie stark soll sich die Forschung in die Politik einbringen, und wie weit lässt die Politik das zu? Ist wissenschaftliche Expertise immer wertfrei? Umgekehrt muss auch gefragt werden, wie viele Fakten die Politik ignorieren darf.
In Zeiten von globaler Pandemie und Klimakrise ist diese Debatte wichtiger als je zuvor.
Daher die Frage:
Wie wenig Wissenschaft braucht die Politik als Entscheidungsgrundlage?
Es folgen die Antworten die wir bekommen haben als transkribierter Text.
Peter Bußjäger
Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck und Professor am Institut für öffentliches Recht der Universität Innsbruck
Ich erinnere mich an einen Spruch, den ich mal gelesen habe, der aus dem 19. Jahrhundert stammt. Es ging darum, auf welcher Grundlage der Herrscher seine Entscheidungen treffen sollte. Sinngemäß lautete die Formulierung so: “Wir wollen unseren Räten, also unseren Beratern, zuhören und wollen wohl erwogen, dann auf der Grundlage dieser Ratschläge unsere eigene Entscheidung treffen. Unsere Räte werden dann diese Entscheidung umsetzen. Ohne sich darüber zu beklagen, ob jetzt allen Vorschlägen Rechnung getragen wurde oder nicht.”
Ich finde, genau das sollte das Vorgehen in einer modernen Gesellschaft sein. Die Regierung holt sich Expertenmeinungen und trifft auf der Grundlage dieser Expertenmeinungen Entscheidungen, die sie aber dann auch begründen muss und für die sie die Verantwortung trägt.
Jakob Moritz Eberl
Wissenschaftler am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien
Es ist jedenfalls so, dass es einige Bereiche der Politik gibt, denen mehr Wissenschaft guttun würde. Um nur ein paar Beispiele anzuschneiden, ist es immer wieder überraschend zu hören, wie über die Seenotrettung debattiert wird, wo doch eben dieser sogenannte Pull-Faktor schon mehrmals widerlegt wurde. Filterblasen, Social Bots und sogenannte Fake News sind außerdem Begriffe, die immer wieder gerne für Symbolpolitik herhalten müssen.
Auf wissenschaftliche Fakten bezieht sich die Politik dabei selten. Wenn sich die Politik oder auch die Öffentlichkeit mit wissenschaftlichen Ergebnissen auseinandersetzt, wird oftmals schnell klar, dass
ein Grundprinzip des wissenschaftlichen Systems gerne ausgeklammert wird: die Unsicherheit. Es gibt sie nämlich nicht, die einfache Wahrheit, die wissenschaftlichen Erkenntnissen oft unterstellt wird. Wissenschaft ist prozesshaft und Erkenntnisse nur bedingt.
Vor allem, wenn es um neue Phänomene mit noch spärlicher Datenlage geht, wie zum Beispiel Covid-19. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind außerdem immer abhängig von der Subjektivität der Fragestellung und der angewandten Methode. So können Studien mit derselben Fragestellung, aber unterschiedlichen Methoden zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Welche Erkenntnis nun eher korrekt ist, wird in Folgestudien ausgehandelt. Um wissenschaftliche Erkenntnisse in politischen Entscheidungen umzusetzen, benötigt es daher jedenfalls Science Literacy – also der Kompetenz, die wissenschaftlichen Aushandlungsprozesse richtig einzuordnen.
Und jetzt kommen wir zurück zur eigentlichen Fragestellung: Wie wenig Wissenschaft braucht die Politik als Entscheidungsgrundlage? Wissenschaft liefert Fakten, nicht Entscheidungen. Auch in einer Zeit, in der der Ruf nach sogenannter evidenzbasierte Politik immer lauter wird und wissenschaftliche Erkenntnisse für die Politikgestaltung grundlegend und unverzichtbar sind.
Zur politischen Entscheidung werden wissenschaftliche Erkenntnisse erst nach der Abwägung durch Politiker*innen, die vielfältige Interessen zu vertreten haben. Die Politik wird am Ende immer noch von Politiker*innen gestaltet. Sie haben auch die Verantwortung über getroffene Entscheidungen – ungeachtet dessen, wie viel oder wie wenig sie sich dabei auf die Wissenschaft beziehen.
Harald Oberhofer
Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien und Mitbegründer der Plattform Registerforschung
Der Wiener Althistoriker Gerhard Dobesch hat einmal gesagt: “Augustus war ein kluger Mann. Er scharte gute Berater um sich und hörte auf sie.” Damit ist eigentlich alles gesagt. Kluge Politiker*innen wissen, wo ihre Kompetenzen liegen und wo sie enden. Jenseits ihrer Kompetenzen ziehen sie hoffentlich Expert*innen heran. Dabei wird es sich oftmals um führende Wissenschaftler*innen handeln, die international anerkannt und unabhängig sind.
Die gute Beraterin, der gute Berater sind nicht bequem, und ihre Qualifikation ergibt sich nicht aus der Zugehörigkeit zu den unter Anführungszeichen richtigen Netzwerken.
Sie vermitteln die Komplexität der Lage und die Konsequenzen von Maßnahmen. Sie sind kritisch und eine intellektuelle Herausforderung für die Regierenden. Diese sollten diese intellektuelle Herausforderung freudig annehmen.
Gute Beraterinnen und Berater entstehen aber nicht im luftleeren Raum. Dafür bedarf es eines anregenden intellektuellen Umfelds, das aus der Wissenschaft gespeist wird. Hier ist in Österreich noch viel zu tun.
Die Wissenschaft braucht Zugang zu den pseudonymisierten Datenbeständen der öffentlichen Hand, um diese zu analysieren und daraus Empfehlungen für eine sachgerechte Politik im Interesse aller abzuleiten. Die Wissenschaft kann die Politik ganz wesentlich unterstützen. Die Politik muss aber zuhören und mit der Wissenschaft diskutieren. Wenn die Politik nur das hört, was sie hören will, wird sie großen Schaden anrichten.
Manfred Prisching
Institut für Soziologie, Universität Graz
Wissenschaft ist unabdingbar für fast alle politischen Fragestellungen. Weil diese spätmoderne Gesellschaft ein ziemlich komplexes Gebilde ist, sie kann nicht nur aus dem Handgelenk oder durch Bauchgefühl gesteuert werden.
Wissenschaft ist aber nur bedingt brauchbar. Weil sie jeweils spezialisiert ist, politische Entscheidungen aber meist vieldimensional sind.
Wissenschaft liefert Entscheidungsinput, aber nicht Entscheidung. Wissenschaftler haben Tunnelblicke, sie sehen vor allem ihr jeweils eigenes Revier, ihre eigene Disziplin. Das trifft im übrigen auch für Ärzte zu, für Lehrer. Natürlich haben auch Politiker ihre jeweils eigene Relevanzstruktur, die sie über die Wirklichkeit legen.
Wissenschaft ist nach Tunlichkeit wertfrei, kann es aber nicht vollständig sein, weil sie eben auch Teil des Lebens ist. Das Wesen der Politik ist hingegen prinzipiell mit Wertentscheidungen verbunden – auf der Grundlage von spezialisierten Sachverstand und gesundem Menschenverstand. Jede Entscheidung über Recht oder Geld ist letztlich auch eine Wertentscheidung. Politik braucht deshalb Verständnis, Interesse und Kommunikationsfähigkeit für Wissenschaft, Kunst und andere Lebensdimensionen. Sie ist ein Kunsthandwerk eigener Art.
Konstantin Wacker
Assistenzprofessor für Volkswirtschaft an der Universität Groningen
Mein Eindruck, den ich manchmal gewonnen habe in dieser politiknahen Tätigkeit und der sich, wie ich finde, auch jetzt in der Corona Krise sehr stark zeigt ist, dass Politik immer genau soviel oder so wenig Wissenschaft braucht, wie notwendig ist, um die eigene präferierte Politik Variante zu argumentieren oder zu legitimieren. Das heißt, es gibt sehr selten Politiken, die jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Politik wählt dann selektiv aus mehreren verschiedenen Erkenntnissen zu einer Thematik diejenigen aus, die ihr gerade sehr gut ins Konzept passt. Und da könnte man natürlich sagen: Naja, zumindest fließt Forschung irgendwie ein in Politik. Aber ich denke, dass damit genau das Prinzip der Wissenschaftlichkeit verletzt wird.
Weil als Wissenschaftler sind wir es ja gewohnt zu hinterfragen: Woher stammen Erkenntnisse? Unter welchen Annahmen wurden diese Erkenntnisse erlangt? Welche Daten wurden dabei verwendet? Genau das kommt leider in der Politik manchmal zu kurz.
Das war auch ein Grund dafür, wieso ich zurück in die Wissenschaft gegangen bin. Ich hoffe aber, dort dazu beitragen zu können, dass wir auch wieder zu einer offeneren Diskussion über verschiedene Politik Möglichkeiten und die wissenschaftlichen Grundlagen, die dahinter liegen, zurückkehren können. Weil ich glaube, dass gerade das in einer modernen Demokratie, die so stark auf verschiedene wissenschaftliche Forschungen aufbauen kann, notwendig und hilfreich wäre.
Heidi Glück
Politik und Kommunikationsberaterin
Wissenschaft und Politik: Im Idealfall ist das eine Symbiose zum Nutzen aller. Aber abseits der “Wissen ist Macht” Rhetorik herrschen oft Instrumentalisierung, Misstrauen und Rivalität zwischen den Denkern und den Machern. Das Verhältnis von Rat und Tat hat seine Tücken: Denn Auftraggeber und ihre Lieferanten passen oft nicht zusammen und halten sich gegenseitig entweder für intellektuelle Hofnarren oder für Machtbesessene, Halbgebildete, die nur hören wollen, was ihnen passt.
Selbstverständlich braucht die Politik die Wissenschaft als Dialogpartner und Brain-Power. Aber die Sache hat einen Haken. Der Mythos von der Faktenbasiertheit, ist nicht selten nur die Religion der Wissenschaftsgläubigen. Zu oft hat jede These auch eine Gegenthese, und jede Behauptung findet ihre passende Studie aus der “scientific community”. Der Vorrat an Unbestrittenem ist so klein wie die Schnittmenge der objektiven Wahrheiten. Was es braucht, ist seriöses Informieren auf der einen, und uneitles Zuhören auf der anderen Seite. Es kann gar nicht zu viel an fundierten Entscheidungsgrundlagen für die Politik geben, aber es müssen sich beide Seiten dabei von Ideologie befreien.
Sachlichkeit ist das Zauberwort, Ehrlichkeit die Währung. Wissenschaftler sind wie Schrittmacher zu sehen. Die letzte Meile muss der Entscheidungsträger ohnehin allein laufen.
Dabei hilft ihm was nur er hat: strategisches politisches Denken, Instinkt und Intuition und die Letztverantwortung – die kann ihm auch die Wissenschaft nicht abnehmen.
Lorenz Jahn
Leiter des Teams Think Tank und Netzwerk der Politischen Akademie der Volkspartei
“Sehen, um vorauszusehen”. So lautet der Spruch der wahrhaften Wissenschaft. Dieses Zitat von Auguste Comte bringt mir dazu einleitend anzumerken, dass es gerade in heutiger Zeit mehr als sonst schon heikel ist, der Wissenschaft ihre Wichtigkeit und ihre Objektivität abzustreiten. Am Beispiel der grassierenden Pandemie konnten wir gerade alle gemeinsam spüren, wie relevant es ist, rechtzeitig die richtigen Entscheidungen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu treffen.
Oder was eben geschieht, wenn man dies nicht oder auch nur zögerlich tut. Hätte zum Beispiel die österreichische Regierung unter Sebastian Kurz den Lockdown erst eine Woche später ausgerufen, so sagt uns eine Simulation der Technischen Uni Wien, dass sich die Corona Fälle vervierfacht hätten und wir schlagartig statt 250 über 1000 intensiv Betten benötigt hätten. Wissenschaftliche Kenntnisse sind also relevant für politische Entscheidungen. Sie sind aber immer nur ein Puzzleteil der gesamten Entscheidungsgrundlagen.
Tatsache ist, dass nicht nur Erkenntnisse unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zu unterschiedlichen Vorschlägen für die Politik führen, sondern selbst Erkenntnisse innerhalb der eigenen Disziplin widersprüchliche Aussagen erzeugen. Zumindest von Vertreterinnen und Vertretern dieser Disziplinen. Deshalb gilt es auch immer, die daraus entstehenden Schlüsse abzuwägen und in den Einklang mit der politischen Umwelt zu bringen. Politische Entscheidungen und Maßnahmen müssen vor allem akzeptiert und mitgetragen werden, da ansonsten mittel und langfristig Widerstände eine erfolgreiche Umsetzung verhindern können. So kann die zwar eigentlich richtige Entscheidung im Endeffekt schlecht getimed oder falsch dosiert eine negative Wirkung entfalten. Die Wissenschaft kann auch keine demokratische Entscheidung übernehmen. Sie an sich kann keine Verantwortung tragen.
Diese wird den gewählten Politikerinnen und Politikern für eine bestimmte Zeit übergeben, wofür sie am Ende ihrer Legislaturperiode Rechenschaft ablegen müssen. Letztlich braucht es also den verantwortlichen Menschen für die richtige, durchdachte Deutung als moralische und empathische Instanz, so gut dies der betroffene Mensch eben kann.
Wissenschaft ist also ein guter Wanderstab und als Entscheidungsgrundlage für politisches Handeln absolut wichtig. Sie könnte durchaus noch präsenter sein. Sie bleibt aber letztlich ein Teilaspekt.
Therese Niss
Abgeordnete zum Nationalrat der ÖVP, Bereichssprecherin für Digitalisierung, Forschung und Innovation
Ich bin seit 2017 Abgeordnete zum Nationalrat und für die ÖVP Bereichssprecherin für Digitalisierung, Forschung und Innovation. Und genau in dieser Rolle ist mir natürlich bewusst, dass das Verhältnis von Wissenschaft und Politik kompliziert ist, weil es einfach zwei relativ selbständige gesellschaftliche Teilsysteme sind, die eine andere innere Logik haben und vor allem auch anders orientiert sind. Es ist aber so, dass Politik nicht ohne wissenschaftliche Expertise auskommt und Wissenschaft auf der anderen Seite ist kein unpolitisches Feld.
So sehr die Politik auch auf die wissenschaftliche Erkenntnisse angewiesen ist, so sehr ist auf der anderen Seite die Wissenschaft darauf angewiesen, dass die Politik ihr die notwendige Infrastruktur und Forschungsfinanzierung und auch den Freiraum zur Verfügung stellt. Deswegen ist es wichtig, dass man mit den richtigen Erwartungshaltungen aufeinander zugeht. Es ist klar, dass wissenschaftliche Erkenntnis keine Handlungsanweisung ist, denn es ist so, dass die Schlussfolgerungen dann den Handelnden überlassen wird. Also muss dann die Entscheidung durch die Politik getroffen werden.
Die Wissenschaft ist vielstimmig, vielseitig, hier und da auch widersprüchlich. Aber es ist eben wichtig, dass die Wissenschaftler ihrer Wahrheit auch tatsächlich treu bleiben.
Wir haben jetzt zum Beispiel in der Corona Krise gesehen: Die Wissenschaftler sind stärker in den Fokus als sonst gesprochen. Sie haben gesagt, das, was sie erforscht haben, auf die Erkenntnisse, auf die sie gekommen sind. Es ist aber dann auch der Regierung vorbehalten geblieben, bestmöglich auf Basis dieser Erkenntnisse, die gewonnen wurden dann tatsächlich die Entscheidungen zu treffen.
Die politische Entscheidung muss immer den Volksvertretern, der Regierung, dem Parlament vorbehalten werden. Und das ist auch gut so. Sie treffen diese im Sinne der Bevölkerung und im Interesse des Gemeinwohls.
Franz Schausberger
ehemaliger Landeshauptmann Salzburg, Universitätsprofessor für neuere österreichische Geschichte, Leiter des Instituts für Regionen Europas
Gerade in der Corona Krise, aber auch im Bereich des Klimawandels zeigt sich die Bedeutung der Wissenschaft für die Politik. Da gibt es eine Art Comeback der Wissenschaft. Da ist es für den Politiker notwendig, möglichst viele wissenschaftliche Meinungen einzuholen, die oftmals sehr unterschiedlich sind.
Man muss aber wissen: Auch diese sind meist nicht wertfrei, stets nur vorläufig und daher mehr oder weniger unsicher. Wichtig ist dabei, dass die Wissenschaft vor allem die Folgen einer politischen Entscheidung möglichst umfassend ausleuchtet.
Das Risiko der Ungewissheit und die Entscheidung liegen letztlich immer bei der Politik. Wissenschaft sollte sich nicht politische Entscheidungsfunktionen anmaßen. Die Politik muss nämlich über das Sachthema hinausgehende Kriterien wie das demokratische Prinzip und die Interessen möglichst aller Beteiligten berücksichtigen. Wenn beide Seiten dieses realistische Bild voneinander respektieren, dann werden sie sich gegenseitige Enttäuschungen ersparen und im Interesse der Allgemeinheit voneinander profitieren.
Christoph Konrath
Jurist und Politikwissenschaftler im öffentlichen Dienst, Lehrbeauftragter an der Uni Wien und Obmann des Vereins Unsere Verfassung
Wer kann und soll in einer Demokratie mitreden? Und was macht gute politische Entscheidungen aus? Dabei spielt die Wissenschaft in vielen Debatten eine wichtige Rolle. Aber zugleich wird darauf hingewiesen, dass sie doch auf ganz anderen Grundlagen argumentiert als Politik. Dass es um das Reflektieren, das Suchen der vielleicht auch einzig richtigen oder besten Lösung geht, dass Wissenschaft Zeit braucht. Politik im Unterschied dazu, muss Kompromisse finden, Ausgleich suchen. Und bei Politikerinnen und Politikern erwarten wir Entscheidungsstärke. Auch, und das ist für mich besonders interessant, Intuition.
Schwierig ist dabei für mich, dass wir in vielen unserer Lebensbereiche mittlerweile auf die Komplexität hinweisen, auf die vielen Sachen, die es zu beachten gilt. Und demgegenüber habe ich oft den Eindruck, dass wir so tun, als könnten einfach politische Entscheidungen von jedem getroffen werden. Als würde das Bauchgefühl von größter Bedeutung sein. Auch Politikberatung zielt oft gerade darauf ab, wie kommuniziert wird, welche Methoden gewählt werden.
Was wir nicht diskutieren, und ich denke, das ist der Kern der Frage, die ihr stellt, ist, dass es sehr wenige Möglichkeiten gibt, und wenig Nachdenken über Verfahren, wie Wissenschaft und Politik miteinander kommunizieren, wie es hier zu einem Ausgleich kommt. Zu einer Information, wie Kommunikation zwischen den beiden funktioniert, sodass sie transparent ist und verstanden werden kann.
Das sind, denke ich, die entscheidenden demokratiepolitischen Fragen unserer Zeit, über die wir viel mehr diskutieren sollten. Nicht, dass Wissenschaftler für Politiker entscheiden, sondern wie ein Miteinander und ein Verständnis geschaffen werden kann, um zu guten Entscheidungen zu gelangen.
Christoph Bösch
freier Publizist und Aktivist für eine direktere Demokratie
Für problematisch halte ich vor allem den fast blinden Glauben an alles, was sich auch wissenschaftlich nennt. Wissenschaft ist sozusagen ein Zauberwort. Der Bereich, an den am unkritischsten geglaubt wird. Industrie wird kritisiert, die Medien, die Politik, die Kirche usw. Aber fast niemand kritisiert eigentlich die Wissenschaft. Wenn jemand sagt, irgendetwas sei wissenschaftlich erwiesen, dann wird es mehr oder weniger blind geglaubt von der allergrößten Mehrheit der Menschen, von den Medien, den Politikern und so weiter.
Andererseits wird es von diesen auch oft gern als eine Art Ausrede oder Rechtfertigung verwendet, um die Verantwortung abzuschieben, eigentlich fast wie bei der Kirche früher. Man kann fast alles behaupten, und es wird mehr oder weniger kritiklos hingenommen. Nirgends sonst ist dieses Missverhältnis so groß, und daher würde ich sagen:
Das Wichtigste ist, dass man ganz vorsichtig und kritisch ist, wenn jemand sagt, irgendwas sei wissenschaftlich erwiesen oder auch nur erforscht. Denn wirklich exakte Wissenschaft ist nur die Mathematik.
Aber wenn es um den Menschen und das Leben geht, ist es letztlich immer subjektiv. Und wenn man will, kann man dann sozusagen fast alles beweisen. Das zeigt sich zum Beispiel beim Coronavirus. Aber jeder Mensch ist anders. Daher sind Statistiken, die sich auf Menschen beziehen, einfach immer mit allergrößter Vorsicht zu genießen.
Karl-Heinz Hinrichs
Gründer von EVAL, Umwelt- und Friedensaktivist
Es geht jetzt um die Frage: Wie wenig Wissenschaft braucht die Politik als Entscheidungsgrundlage? Dazu möchte ich Folgendes sagen: Die Politiker haben in den letzten Jahrzehnten alle Warnungen der seriösen, staatlich finanzierten Wissenschaftler ignoriert. Als Beispiele möchte ich nur anführen: Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung, die industrielle Produktion von Tierfabriken und viele andere Dinge mehr. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.
Die Politiker müssten in Zukunft öffentlich begründen, warum sie den Gutachten und Forderungen der staatlich finanzierten seriösen Wissenschaftler nicht folgen.
Das wäre ganz, ganz wichtig, um in Zukunft mehr Sachlichkeit in die ganze Debatte zu bringen.
Magda Stumvoll
Präsidentin von Ponto- Grassroots Think Tank für Europa und Außenpolitik
Die Frage, wie wenig Wissenschaft die Politik als Entscheidungsgrundlage braucht, würden wir folgendermaßen beantworten: Die Politik muss sich inständig bemühen, dass alle ihre Entscheidungen auf dem aktuellen Wissenschaftsstand beruhen. Sie sollte dabei alle möglichen Auswirkungen mit einbeziehen, mit dem Ziel, letztlich das bestmögliche Ergebnis für die Bürgerinnen und Bürger zu liefern. Da von Politikerinnen und Politikern und ihren Beraterinnen und Beratern nicht erwartet werden kann, zu jedem auf der Agenda stehenden Thema den aktuellen Stand der Wissenschaft persönlich kennen bzw. aktiv verfolgen, sollte insbesondere die Zusammenarbeit mit Universitäten, mit unabhängigen Analystinnen und Analysten bzw. Think Thanks gestärkt werden. Neben dem bloßen Zugang zur Wissenschaft übersetzen diese aktuelle Erkenntnisse und Forschunsstände in konkrete Politikangebote und machen sie so für ein breiteres Publikum zugänglich.
Die Bedeutung der Medien als vierte Gewalt, die diese Informationen an die Bevölkerung weiterleiten, spielt dabei ebenfalls eine gewichtige Rolle. Nicht nur die Politik, sondern auch die Bevölkerung muss Zugang zu wichtigen aktuellen Daten und Fakten haben.
Christian Weiskopf
Obmann Jugend Dornbirn, Lehrer für politische Bildung an der Polytechnischen Schule Dornbirn
Wissen war in der gesamten Menschheitsgeschichte von zentraler Bedeutung.
Heute aber leben wir nicht mehr nur in einer Wissensgesellschaft, sondern in einer Wissenschaftsgesellschaft. Wissenschaftliches Wissen durchdringt alle Lebensbereiche. Persönliche, berufliche und gesellschaftliche. Wissenschaft liefert auch einen entscheidenden Baustein dafür, Politik und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen.
Die Politik stützt sich in ihrem Handeln glücklicherweise immer mehr auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Zunehmend werden aber heute Fakten in Frage gestellt. Gerade auch solche, die auf wissenschaftlicher Erkenntnis beruhen. Dieser gefährliche Trend reicht vom Alltag bis in die große Politik. Kinder werden seltener geimpft. Fake News erlangen weite Verbreitung. Und selbst amerikanische Präsident leugnet gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse und macht dies zur Grundlage seiner Politik. Wer allerdings die eine einfache Wahrheit von der Wissenschaft erwartet, kann nur enttäuscht werden. Wissenschaft muss aufmerksam darauf achten, einen Missbrauch ihrer Arbeit zu wehren.
Sie liefert Fakten und keine Entscheidungen. Die Politik muss jedoch Entscheidungen treffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind grundlegend und unverzichtbar für Politik. Aber zur politischen Entscheidung werden sie erst im Zuge der wertgebundenen Gewichtung und Abwägung durch Politiker.
Eva Linsinger
Nachrichtenmagazin profil, Ressortleiterin Innenpolitik
Wie wenig Wissenschaft braucht die Politik als Entscheidungsgrundlage? Ich glaube, es müsste umgekehrt lauten: Die Politik kann nie genügend Wissenschaft als Entscheidungsgrundlage haben. Entscheiden muss sie dann allerdings selbst. In Österreich ist dieses Verhältnis schon lange vor Corona in einer gefährlichen bis bizarren Schieflage gewesen. Denn es gibt ganz viele Studien, viele Expertisen von Wissenschaftlern, Wissenschaftlerinnen, von wissenschaftlichen Instituten, die mit Steuergeld bezahlt werden, aber dennoch in irgendwelchen Schubladen verschwinden. Niemand, keine Öffentlichkeit, niemand sonst bekommt sie zu Gesicht, weil die Ergebnisse nicht gepasst haben, weil irgendetwas anderes passiert ist.
Man kann es nicht sagen, denn sie bleiben geheim. Und dieses Herrschaftswissen hat mich schon lange vor Corona gestört. Mittlerweile hat das eine neue Position bekommen. Es ist gut, und es ist wichtig, dass gerade hochrangige Wissenschaftler Wissenschaftlerinnen mitreden, mitdiskutieren in Coronazeiten, was denn passieren soll. Es ist aber fatal, dass all diese Diskussionen, die Expertise, dass die Studien nie an die Öffentlichkeit geraten. Die Öffentlichkeit hat sehr wohl ein Recht darauf zu wissen, auf welcher Grundlage, auf welcher Faktenlage denn all diese Maßnahmen getroffen werden.
Und das alles fügt sich zusammen zu dem davor Geschilderten.
Wissenschaftliche Expertise gilt zu oft als Herrschaftswissen. Es wird einfach nicht veröffentlicht, und das passt in einen Staat wie Österreich, in dem es Amtsgeheimnis gibt, in dem es einfach so etwas wie Geheimwissen gibt. Und jetzt, gerade in Coronazeiten, wäre die allerbeste und die allerhöchste Zeit, endlich damit aufzuhören.
Schicken Sie uns jetzt für den kommenden Rundruf eine aktuelle oder grundsätzliche Fragestellung hinsichtlich der Weiterentwicklung oder Stärkung unserer Demokratie an team@demokratie21.at
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