
Antimuslimischer Rassismus – Menschenverachtende Haltungen im Unterricht
Antimuslimischer Rassismus ist ein tief verwurzeltes Problem in unserer Gesellschaft. Doch wie können wir aktiv dagegen vorgehen und ein inklusives Umfeld schaffen?
In Österreich bekennen sich etwa neun Prozent der Bevölkerung zum Islam. Muslim*innen sind also eine relativ große Minderheit und die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in unserem Land. Es gibt eine lange Geschichte des Islam in Österreich. Eigentlich gehört er inzwischen „dazu“. Trotzdem gibt es nach wie vor und in steigendem Ausmaß Ablehnung.
Rassismus gehört zum Alltag von Menschen mit Migrationsgeschichte – jede und jeder macht Erfahrungen mit Vorurteilen, Hass und Ablehnung. Besonders ausgeprägt ist diese abwertende Haltung, wenn zur Migrationsbiografie noch die Religion – und hier besonders der Islam – als Merkmal dazu kommt. Eingebettet ist der antimuslimische Rassismus in den Diskurs um Islamismus und Radikalisierung. Natürlich spielt auch der politische Diskurs eine Rolle, der immer häufiger alle Ausländer und Ausländerinnen pauschal als Feindbild und Gefährdung darstellt. Auch die sogenannte Wertedebatte spielt eine große Rolle – also Themen wie das konservative Frauenbild, die Ablehnung von gleichgeschlechtlicher Liebe etc.
Wenn diese emotional aufgeladenen Diskurs-Stränge nicht reflektiert und bearbeitet werden, entwickeln sich schnell abwertende und pauschalisierende Haltungen.
Genau das wollen wir uns in dieser Folge anschauen:
- Was genau versteht man unter antimuslimischem Rassismus?
- Wie verbreitet ist Islamfeindlichkeit und wie äußert sie sich?
- Welche Aussagen kommen von den Schüler*innen? Welche Konflikte entstehen durch Islamfeindlichkeit in der Klasse?
- Wie reagieren die betroffenen Schüler*innen, wenn sie abgewertet oder angegriffen werden?
- Wie gehe ich als Lehrkraft mit islamfeindlichen Haltungen, Einstellungen oder Handlungen um?
Das ist Teil zwei unserer Doppelfolge zu menschenverachtenden Haltungen im Unterricht. In der ersten Folge ging es um den steigenden Antisemitismus und dass Juden und Jüdinnen weltweit derzeit vermehrt Ausgrenzung, Hass und Gewalt erfahren.
Gemeinsam mit unseren Gesprächspartnerinnen, allesamt Lehrerinnen mit Migrationsgeschichte, schauen wir uns in dieser Folge den tiefsitzenden Alltagsrassismus gegenüber Muslim*innen in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft an.
Antimuslimischer Rassismus in Zahlen
Im “Rechtsextremismus-Bericht 2023” des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) gibt eine Mehrheit der Befragten an, sich manchmal „fremd im eigenen Land“ zu fühlen, was auf die in Österreich lebenden Muslim*innen zurückgeführt wird. Zudem lehnt ein Drittel der Befragten muslimische Nachbarn ab.
Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus (Dokustelle Österreich) veröffentlicht seit 2015 jährlich den Antimuslimischen Rassismus Report. Im Jahr 2023 verzeichnete die Dokustelle insgesamt 1.522 rassistische Übergriffe gegen Muslim:innen und muslimisch wahrgenommene Personen, was die höchste Zahl seit Beginn der Dokumentation darstellt. Besonders auffällig ist der Anstieg der Fallmeldungen aus dem Bildungsbereich: Immer mehr Eltern, Schüler:innen und Lehrkräfte berichten über antimuslimisch rassistische Vorfälle in Schulen und Ausbildungsstätten.
Sie-und-Wir-Denken
Vorurteile und Abwertungen muslimischer Kinder und Jugendlicher zeigen sich besonders deutlich im Schulalltag. Nora Hassan, ÖH-Vorsitzende an der Universität Wien und Lehrerin, erklärt:
Das, was wir als Lehrpersonen reproduzieren, sind Othering-Strukturen. Also sprich, wir schaffen ein klares Bild von „sie“ und „die anderen“.
Diskriminierende Aussagen wie „Du hast ja Deutsch nicht als Muttersprache, also wirst du in Deutsch nie eine Eins bekommen“, senden klare Signale: „Egal, wie sehr ich mich bemühe, ich werde keine gute Note bekommen.“ Solche Erfahrungen können sich gemäss Nora Hassan negativ auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken.
Schule als Lernort für alle
Damit Schule ein sicherer Ort ist, an dem man in friedvoller und konstruktiver Atmosphäre gemeinsam lernen und Zeit verbringen kann, braucht es respektvolles und wertschätzendes Verhalten auf allen Seiten. Leider erfahren gerade Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte oft abwertende Äußerungen – auch von Lehrpersonen.
Ümmü Türe von der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit betont, dass Diskriminierung oft weniger mit der tatsächlichen Religiosität der Schüler:innen zu tun hat:
Es geht nicht darum, wie religiös Kinder sind, sondern dass Religion als Identitätsmerkmal herangezogen wird, um Diskriminierung auszuüben.
Vorurteile richten sich nicht gegen den Glauben selbst, sondern gegen Menschen, die als muslimisch gelesen werden. „Wenn ein Junge sagt: Ich heiße Dschihad, kommt es vor, dass Lehrer*innen sich abfällig äußern. Da kommt es gar nicht mehr darauf an, ob der Jugendliche religiös ist oder nicht.“
Vorurteile und Stereotype schaffen die Möglichkeit, Menschen zu kategorisieren. Politiker:innen nutzen das, um einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Herausforderungen anzubieten. Das wohl bekannteste Beispiel für eine politische Instrumentalisierung von Klischees ist das Tragen eines Kopftuchs.
Das Kopftuch: Symbol für Pluralismus oder Stereotyp?
Das Tragen eines Kopftuchs wird in der Mehrheitsgesellschaft oft stereotypisiert. Ajla Salihovic, Lehrerin an einer Grazer AHS, entschied sich bewusst für das Kopftuch, obwohl sie wusste, dass es mit Vorurteilen behaftet ist:
Leute denken, ich kann kein Deutsch, und reden mich mit gebrochenem Deutsch an.
Gleichzeitig zeigt ihr Beispiel, dass positive Rollenvorbilder eine wichtige Funktion haben. Ihre Schüler:innen und deren Eltern reagierten durchweg positiv: „Das Zugehörigkeitsgefühl wurde getriggert bei Ihnen.“
Richtig oder falsch?
Es wäre falsch, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass es DIE muslimische Lebensweise gibt. Es ist richtig und wichtig, auch die Mehrstimmigkeit der migrationsgeprägten Communities zu thematisieren. Und gerade beim Thema Kopftuch zeigt sich, dass es richtig ist, sich die Zeit zu nehmen für Diskussion und Analyse, um die Debatte gut einordnen zu können.
Es ist richtig, am Schulstandort eine gute Diskussionskultur zu verankern, damit auf Diskriminierung eingegangen werden kann und die Kinder und Jugendlichen in ihrer Identitätssuche unterstützt werden können.
Wir sind alle rassistisch sozialisiert. Das ist mal so ein A und O. Wenn wir das akzeptieren, dann können wir uns damit auseinandersetzen und schauen: Okay, wie kann ich jetzt daran arbeiten, dass ich all meine Vorurteile, die ich habe, Schritt für Schritt abbauen kann? Das bedeutet aber nicht, dass ich keine Vorurteile habe. Nur der Punkt ist: Meine Vorurteile dürfen nicht mein Handeln beeinflussen. Und wir halten auch fest, dass vom Gesetz jeder gleichberechtigt und gleichwertig ist. Und das gilt auch zu leben und zu praktizieren.
Ümmü Türe
Zu Gast in dieser Folge sind:
- Ajla Salihovic – Englisch und Geschichte Lehrerin an einer Grazer AHS
- Nora Hassan – ÖH-Vorsitzende an der Uni Wien, Primarstufenpädagogin an einer Volksschule in Wien
- Ümmü Türe – Mitbegründerin und stv. Vorstandsvorsitzende der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus.
Linktipps:
- Bericht „Rechtsextremismus in Österreich 2023“ des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW)
- Antimuslimischer Rassismus in der Politik (SOS Mitmensch)
- Antimuslimischer Rassismus Report
- Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit
- Serie: Antimuslimischer Rassismus
- Beratungsstelle Extremismus
- Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus
- #WirAlleSindWien: Pädagogische Handreichung zum Thema Antisemitismus und Antimuslimischer Rassismus, 2024.
- Perspektiven auf antimuslimischen Rassismus (Digitale Ausstellung, Deutschland)
- Kostenfreie Schulworkshops: Extremismusprävention macht Schulen
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Johanna Hirzberger
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig & Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
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