Radikal? Extremismusprävention im Klassenzimmer
Immer wenn etwas passiert, wird der Ruf nach Extremismusprävention laut. Immer wenn eine Umfrage herausfindet, dass die Zustimmung zur Demokratie abnimmt, ist die Politische Bildung plötzlich in aller Munde. Expert:innen sind sich einig: So funktioniert das nicht. Präventionsprogramme können nicht von einem Tag auf den anderen alles wieder gut machen, was in einer Gesellschaft nicht gut läuft. Sie brauchen Zeit. Wie auch die Ausbildung einer demokratischen Identität Zeit braucht.
Was tun, wenn Jugendliche schon sehr weit abgedriftet sind? Wie zu ihnen durchdringen? Welche Präventionsprogramme und Expert:innen kann man sich dazu an die Schule holen? Genau das wollen wir uns in dieser Folge von Richtig & Falsch anschauen.
Ab wann sprechen wir überhaupt von “Extremismus”?
Aber fangen wir mal mit der Definition an: Es sind zwei Merkmale, an denen wir Extremismus erkennen können:
-
- Erzählungen von Ungleichwertigkeit – also das Einteilen von Menschen in solche, die mehr wert sind, und solche, die weniger wert sind.
- Autoritarismus – also Einstellungen, die autoritäre politische Strukturen gutheißen.
Andreas Peham ist Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes. Er sagt, dass Radikalisierung ein Prozess ist, in den man eingreifen könne. Und dass es Einstellungen gibt, die Radikalisierung nähren:
In der Regel haben wir es nicht mit gefestigten und eben extremen, manchmal auch extremistischen Einstellungen zu tun, sondern wir finden uns hier im Vorfeld. Diese unterschiedlichen Extremismen werden dargestellt durch Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie,oder allgemeiner gesprochen: von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Der Grat zwischen berechtigten Ängsten und Überreagieren ist schmal
Um dieses angesprochene “Vorfeld” geht es in der Präventionsarbeit an Schulen. Wo, wenn nicht in der Schule, ist Platz, um mit Jugendlichen zu arbeiten? Die Schule müsse sogar der Ort sein, an dem Jugendliche abgefangen werden, sagt Sevgi Bardakci. Schule soll und muss also hinschauen. Nur – wie erkennt man überhaupt, dass Jugendliche abdriften? Sevgi erzählt hier von ihren Erfahrungen:
Wenn ein Schüler oder eine Schülerin früher den Unterricht stark gestört hat, plötzlich ruhig und ganz brav wird und sich total anpasst, muss man genau hinschauen. Das passiert oft zum Beispiel nach den Ferien, dass ein Schüler sich total verändert.
Auffälliges Verhalten ist eine Einladung zum Hinschauen und Ansprechen. Auch die österreichische Polizei bietet Präventionsprogramme an. Tom arbeitet in der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) im Referat für Prävention. Er sagt, wenn’s hart auf hart geht, sollten Lehrkräfte besser an Profis abgeben.
Im Endausbau soll es dann so sein, dass wir in ganz Österreich flächendeckend diese Jugend Präventionsbeamten für den Bereich der Extremismusprävention haben.
Es geht um rechtzeitiges Hinschauen und dann reagieren. Und: Manchmal ist auch Unterstützung von außen sinnvoll. Eine erste Anlaufstelle ist da zum Beispiel die Helpline der Beratungsstelle Extremismus. Dort kann man wochentags von 10 bis 15 Uhr für eine anonyme und vertrauliche Erstberatung anrufen.
Vertrauen und Geduld für den präventiven Dialog auf Augenhöhe
Ist das Vertrauen dann einmal aufgebaut, kann die Arbeit beginnen. Zwei wichtige Punkte dafür: Authentizität und Augenhöhe. Wer authentisch bleibt, verschafft sich bei Jugendlichen zunächst einmal den nötigen Respekt. Und wer ihnen dann auch noch was vermitteln will, muss auf Augenhöhe kommunizieren. Von oben herab geht da gar nichts: Das gilt für mich, wenn ich Nachrichten für junge Menschen aufbereite, genauso wie für Fabian Reicher, wenn er in der Jugendarbeit demokratische Werte vermitteln möchte:
Wenn mich die Kids kritisieren, dann habe ich gewonnen, weil kritisches Hinterfragen, das ist das Gegenteil von Autoritarismus. Wenn ich das geschafft habe, dass die Kids mich kritisch hinterfragen, Jackpot, dann habe ich gewonnen.
Fabian Reicher hat vor allem mit Jugendlichen zu tun, die in eine islamistische Richtung abgedriftet sind oder drohen abzudriften. Andreas Peham dagegen beschäftigt sich vor allem mit den veschiedensten Formen von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus. Was die beiden eint: Egal, welche Art von Extremismus – der Schlüssel in der Präventionsarbeit ist Respekt, Empathie und – die nötige Augenhöhe.
Woher kommt der Hass?
Was kann man tun, wenn es für Prävention schon zu spät ist? Oder anders gesagt: Woher kommt der Hass? Und wie kriegt man ihn aus den Jugendlichen wieder raus?
Dass Jugendliche überhaupt erst auf so eine Erzählung anspringen, hängt also oft mit dem Gefühl von “nicht dazu gehören” und “nicht verstanden werden” zusammen. Oft beginnt alles mit einer gewissen Wut und Erniedrigungserfahrungen, sagt Fabian Reicher.
Gerade wenn es um islamistisch gepägten Extremismus gibt, werden Jugendliche schnell in ein Eck gestellt – ohne die Möglichkeit, sich überhaupt zu erklären. Die Jugendlichen brauchen also mal Platz, sich auszudrücken. Ihre Erfahrungen zu teilen und auch ernst genommen zu werden. Aber wie gelingt es dann in weiterer Folge, ihr verfestigtes Weltbild wieder aufzuweichen? Es braucht eine gemeinsame Basis. Fabian Reicher erzählt, wie er sich so eine Schritt für Schritt mit den Jugendlichen erarbeitet:
Das Interesse und Aufmerksamkeit an ihrer Lebenswelt und an dem, was ihnen wichtig ist, das ist einfach das um und auf.
Mit viel Bewusstseinsarbeit können Jugendliche zumindest soweit gestärkt werden, dass sie gegenüber extremistischen Erzählungen eine Resilienz entwickeln. Aber welche Rolle spielt eigentlich die Politische Bildung bei all dem? Sevgi plädiert dafür, dass das Unterrichtsprinzip Politische Bildung viel intensiver umgesetzt wird. Aktuelle Kontroversen und schlichtweg die Lebensrealitäten in der Klasse diskutieren – das fördert demokratische Mündigkeit. So fassen Jugendliche Vertrauen. Und zwar vor allem in sich selbst. Und nicht in schlechte Einflüsterer. Eine wichtige Voraussetzung im Kampf gegen Extremismus.
Richtig oder Falsch?
Radikalisierung und Extremismus, egal welcher Art, haben ähnliche Mechanismen. Deshalb ist es richtig und wichtig, genau hinzuschauen, Muster zu erkennen und besser früher als später einzugreifen. Zum Beispiel, indem gezielt gegen Demokratieskepsis andiskutiert wird. Aber wichtig: Lehrkräfte müssen die Präventionsarbeit nicht alleine schaffen. Im Gegenteil: Es wäre falsch, sich keine oder erst zu spät externe Hilfe zu holen. Nur aus Sorge, dann als “Problemschule” abgestempelt zu werden.
Zu Gast in dieser Podcast-Folge sind:
- Sevgi Bardakci – Seit 1992 Lehrerin in Wien, Schulmediatorin und Mobbingberaterin
- Andreas Peham – Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)
- Fabian Reicher – Sozialarbeiter, Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit, Beratungsstelle Extremismus
- Tom – Bundesministerium für Inneres, Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Referat Staatsschutz Prävention
Linktipps
- Beratungsstelle Extremismus
Beratungsstelle Extremismus – Helpline - Beratungsstelle Extremismus – YouTube Channel
- Bundesweites Netzwerk Extremismusprävention und Deradikalisierung (BNED)
- Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)
- DÖW – Bildungsangebote
- Under 18 – Jugendprogramme der Kriminalprävention
- Ufuq.de: Pädagogik, politische Bildung und Prävention in der Migrationsgesellschaft
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Ambra Schuster
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig & Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
0 Kommentare
Hinterlasse einen Kommentar