Akut Politisches im Klassenzimmer – zwischen Corona, Terror und Verschwörungstheorien
Manche Schultage werden von Ereignissen geprägt, auf die sich niemand so richtig vorbereiten konnte, z.B. die Ibiza Affäre, der Terroranschlag in Wien und natürlich die Corona-Pandemie als Dauerthema. Wie verhalte ich mich als Lehrkraft, wenn aktuelle politische Ereignisse zum unumgänglichen Thema im Klassenzimmer werden? Wie gehe ich mit Emotionen und Unsicherheiten um? Und wie kann ich solche Ereignisse für Politische Bildung nutzen?
In den letzten Jahren war viel los – da war die Ibiza Affäre, der Terroranschlag in Wien und dann natürlich Corona als Dauerthema. Das waren alles Ereignisse, die plötzlich da waren und auf die sich niemand so recht vorbereiten konnte. Auch Lehrkräfte nicht.
Michaela Fricek, Lehrerin an der Berufsschule für Verwaltungsberufe, meint, es gäbe kein Patentrezept. Wichtig sei, zu beruhigen und Emotionen kommen zu und sprechen zu lassen; sie glaube, es sei manchmal auch gut, einfach zu unterrichten und erst im nachhinein darüber zu sprechen.
Auch an der Schule von Bernhard Lahner – er unterrichtet an der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau – war Corona und der richtige Umgang mit der Pandemie plötzlich großes Thema. Grund dafür waren drei seiner Kolleg*innen, die keine Masken mehr tragen wollten und deshalb suspendiert wurden.
Wenn die ersten Emotionen einmal abgefangen sind, kommt die politische Bildung ins Spiel. Bei akuten Krisen könne es zum Beispiel helfen, über bereits bewältigte Krisen zu sprechen, sagt Patrick Danter. Er ist der Geschäftsführer von Sapere Aude, einem Verein für politische Bildung.
Ein weiterer Tag an, dem ganz Österreich unter Schock gestanden hat, war der 2. November 2020, als ein Attentäter vier Menschen in der Wiener Innenstadt ermordet hat. Der Tag danach war an Schulen besonders herausfordernd: Es war der Tag vor dem Lockdown, an dem man sich eigentlich auf das bevorstehende Distance Learning vorbereiten wollte. Monika Bauer-Bogner unterrichtet an einem Gymnasium im Weinviertel. Ihr war es an diesem Tag trotzdem ein Anliegen, auch über den Terroranschlag zu sprechen.
Monika Bauer Bogner unterrichtet Deutsch und Bewegung & Sport. Aber sie ist auch Mediatorin und arbeitet beim Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes. Durch ihre Ausbildung hat sie natürlich einen Vorteil und kann auch spontan auf die Bedürfnisse der einzelnen Klassen und Schüler*innen eingehen.
Dinge wissen und Zusammenhänge zu erkennen helfe gegen das Ohnmachtsgefühl, das bei akuten Ereignissen oft da sei. Das Ziel solle sein, dass wiederkehrende Muster von Schüler*innen erkannt würden, damit sie diese (in Zukunft) besser einordnen können. Genau dazu könne politische Bildung beitragen, sagt Patrick Danter von Sapere Aude.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass es vollkommen ok ist, wenn man außergewöhnliche Situationen nicht alleine bewältigen kann oder überfordert ist. Niemand kann und muss die Nachwehen eines Terroranschlags wegzaubern. Was und wie viel man macht, ist letztendlich eine persönliche Entscheidung.
Hilfe gibt es zum Beispiel von externen Organisationen. Und auch online gibt es mittlerweile zahlreiche Workshops und Unterrichtsmaterialien zu allen möglichen Themen. Auch Sapere Aude hat ein eigenes Toolkit zum Terroranschlag erstellt, auf das man zurückgreifen kann.
Ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang mit aktuellen politischen Ereignissen wesentlich ist, ist Medienkunde. Darin waren sich alle Lehrer*innen einig.
Beim Terroranschlag hätten den jüngeren Gymnasiast*innen von Monika Bauer-Bogner vor allem die Videos zu schaffen gemacht, die auf Social Media kursiert seien, erzählt Monika Bauer- Bogner.
Dazu, wie man mit solchen im Internet kursierenden Videos am besten umgeht, hat auch die Digitaljournalistin und Autorin Ingrid Brodnig gute Tipps gegeben. Sie ist außerdem Expertin, wenn es um Verschwörungsmythen geht. Die sind in Zeiten der Krise auf dem Vormarsch. Auch im Klassenzimmer sind Verschwörungserzählungen rund um Corona aber auch den Terroranschlag immer wieder Thema.
Auch Sapere Aude hat zum Thema Verschwörungstheorien Unterrichtsmaterialien zusammengestellt. Sie bieten je nach Bedarf Anregungen und durchaus unterhaltsame Übungen.
Wie man als Lehrkraft mit aktuellen politischen Ereignissen umgeht, ist letztendlich eine persönliche Entscheidung. Es hängt auch von der jeweiligen Klasse und Situation ab. In einem ersten Schritt kann es aber gut sein, die Schüler*innen einfach mal sprechen und reflektieren zu lassen, ihnen zuzuhören und sie zu beruhigen. Auch der Fokus auf bereits Bewältigtes und Dinge, die gut laufen, beruhigen. Konkretes Wissen und Medienkompetenz helfen. Dafür gibt es Angebote und Unterrichtsmaterialien von Dritten, auf die Lehrkräfte zurückgreifen können.
Im Idealfall gäbe es im Regelunterricht ausreichend Platz für anlassbezogene politische Bildung. Dafür brauche es aber zuerst auch eine gute Beziehungsebene zwischen Klasse und Lehrenden. Und genau hier stoßen Lehrer*innen oft an Grenzen, sagt die Gymnasiallehrerin Monika Bauer-Bogner.
Es gibt kein Kochrezept dafür, wie man mit akuten politischen Ereignisse im Klassenzimmer umgehen kann. Es ist aber jedenfalls richtig, aktuelle politische Ereignisse im Unterricht zu thematisieren. Es ist genauso richtig, sich manchmal dagegen zu entscheiden und Schülerinnen und Schüler stattdessen einfach abzulenken und zu beruhigen. Und noch viel wichtiger: Es ist auf keinen Fall falsch, wenn man zugibt, selbst überfordert zu sein und Hilfe zu brauchen.
Ambra Schuster im Gespräch mit:
- Monika Bauer-Bogner, Lehrerin am BG/BRG Wolkersdorf
- Patrick Danter, Sapere Aude
- Michaela Fricek, Lehrerin an der Berufsschule für Verwaltungsberufe in Wien
- Bernhard Lahner, Integrative Lernwerkstatt Brigittenau
Weiterführende Links:
- Fanatisierung als Herausforderung für die Politische Bildung; Zentrum polis
- Extremismus und Radikalisierung als Herausforderung für die Politische Bildung
- Corona & Fakenews; Jugendinfo
- „Extrem, radikal, fanatisch. Was tun?“; Video von der Beratungsstelle für Extremismusforschung
- Terror und Rechtsstaat; Bundeszentrale für Politische Bildung
- Toolkit EXTREMISMUS UND TERROR; Sapere Aude
- Toolkit Verschwörungstheorien; Sapere Aude
Hören Sie auch die Pilotfolge von Richtig & Falsch: Keine Angst vor Spontaneität
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