Politische Bildung und Arbeit: Einblicke in das System Berufsschule
Politische Bildung wird in Österreich in den meisten Schulformen als Kombinationsfach unterrichtet. Also gemeinsam mit Wirtschaft, Recht oder Geschichte. Anders ist das in der Berufsschule. Dort ist die politische Bildung ein eigenständiges Fach – eine Besonderheit, die wir in dieser Folge von Richtig & Falsch in den Fokus rücken wollen.
Unter welchen Rahmenbedingungen findet Politische Bildung in der Berufsschule statt? Wie unterrichtet man Politische Bildung für Schüler:innen, die voll im Arbeitsleben stehen? Welche Fallstricke ergeben sich womöglich in der Ausbildung der Berufsschullehrer:innen selbst?
Lehrkräfte aus der Praxis
Im Gegensatz zu anderen Schulformen ist der Unterricht an der Berufsschule berufsbegleitend. Das heißt, Lehrlinge müssen Schule und Arbeit unter einen Hut bringen. Konkret gibt es zwei Modelle, wie der Unterricht organisiert wird: In Wien und einigen größeren Städten gibt es Berufsschulen, die einen wöchentlichen Unterricht anbieten. Oder aber die Lehrlinge gehen einmal im Jahr geblockt für zehn Wochen in den Unterricht.
Nicht nur die Ausbildung der Lehrlinge, auch die Ausbildung der Berufsschullehrer:innen findet berufsbegleitend statt. Lehrkräfte sind meistens Quereinsteiger:innen – und bringen dadurch einen ganz anderen Background mit. Die Lehrkräfte kommen also aus der Praxis, was für die Ansprüche der Arbeitswelt zwar gut ist. Für die politische Bildung bringt das aber Herausforderungen. Erich Leonhard ist Lehrer an der Berufsschule für Chemie, Grafik und gestaltende Berufe:
Da gibt’s halt auch einige Lehrer, die dann sozusagen vergattert werden, die eigentlich selbst das Thema Politik nur mit spitzen Fingern angreifen und die das in Wirklichkeit gar nicht so gerne unterrichten, die sich dann zum Teil auch gar nicht auf Diskussionen einlassen wollen, weil ihnen das irgendwie zu heiß ist.
Politische Bildung ist Teil der Fachgruppe 1. Hier werden die sogenannten allgemeinen Fächer zusammengefasst, dazu zählen neben der Politischen Bildung auch Sprachen und die angewandte Wirtschaftslehre. Kommt man als Quereinsteiger:in an eine Berufsschule und möchte zum Beispiel eine Sprache unterrichten, kann es gut vorkommen, dass man dann auch Politische Bildung unterrichten muss. Obwohl das in der persönlichen Planung vielleicht gar nicht vorgesehen war.
Alltagskompetenzen stärken
Politische Bildung hat in Berufsschulen ein wenig den Ruf eines Orchideenfachs – ihre “Relevanz” wird von den Praktiker:innen oft nicht richtig anerkannt. Katharina Beyer bricht hier eine Lanze für die sogenannten “nicht-fachspezifischen Fächer” an der Berufsschule. Schließlich erlernen die Lehrlinge in diesen Fächern wichtige “soft-skills” für ihr weiteres Leben.
Es wird da gern übersehen, dass unsere Fächer dafür da sind, dass die Jugendlichen, wie man so schön sagt, gestanden sind, dass sie sich hinstellen können vor einer Kommission und ihren Selbstwert kennen und soweit gefestigt sind, dass sie sich präsentieren können, und das ist dann übergreifend.
Die sogenannten allgemeinen Fächer stärken im Idealfall Alltagskompetenzen der Jugendlichen, die nicht minder wichtig sind. Sie sollen ihnen bei der Orientierung in der Gesellschaft helfen.
Bildungsziel: mündige Bürger:innen
Sonja Ausserer-Stockhamer von der Berufsschule Wels 3 unterrichtet Ihre SchülerInnen in Zehn-Wochen-Blöcken und ist auch Klassenvorständin einer Klasse. Ihr ist es wichtig, ihren Lehrlingen im Rahmen der Politischen Bildung über die Jahre hinweg wesentliche Prinzipien mitzugeben. Nicht zuletzt hat sie nicht das Gefühl, dass ihre Lehrlinge unpolitisch oder desinteressiert wären, sagt Sonja Ausserer-Stockhamer. Im Gegenteil. Sie würde sich wünschen, dass man die Jugendlichen ernsthafter in die öffentlichen Debatten einbindet.
Wir brauchen aktive Mitwirkung, und wir brauchen auch das Bekenntnis dazu, dass man sich mit Dingen auseinandersetzen muss, dass das Zeit kostet.
Damit sie dazu aber überhaupt in der Lage sind, müssen Lehrkräfte eine kontroverse Situation im Unterricht vorbereiten, sagt Katharina Beyer:
Wenn ich schon weiß oder vermute, dass in meiner Klasse die Meinung sehr einschlägig sein wird, dann ist meine Pflicht als Lehrerin, dass ich das so aufbereite, dass man die Kontroversen sieht.
Problemstellungen wie diese unterscheiden sich dann doch gar nicht so sehr von anderen Schultypen. Genau diese Gemeinsamkeiten sind Stefan Schmid-Heher vom Zentrum für Politische Bildung wichtig:
Die Arbeit bestimmt das Leben der Lehrlinge, teilweise auch ihre Identität. Das sind spannende und interessante Anknüpfungspunkte. Man soll und muss sich das auch zunutze machen für die Politische Bildung an Berufsschulen, nämlich im Sinne einer Lebensweltorientierung.
Richtig und Falsch?
Es ist richtig & wichtig, an der Berufsschule nicht nur weitere praktische Fertigkeiten zu erlernen, sondern auch einmal über sich und die Welt nachzudenken. Auch die rund 110.000 Lehrlinge sollen sich politische Meinungen bilden und diese dann vertreten können. Am Ende gilt das allgemeine Bildungsziel des mündigen Bürgers, der mündigen Bürgerin. Es wäre falsch, die Berufsschule als “Nebengeplätscher” zum Lehrbetrieb zu sehen. Und: Schule ist ein Ort der Reflexion. Egal ob für 36 Wochen pro Jahr oder eben nur für zehn Wochen im Jahr.
Zu Gast in dieser Podcast Folge sind:
- Sonja Ausserer-Stockhamer (Lehrerin an der Berufsschule Wels 3 – BS für Einzel- und Großhandel, Pharmazeutisch-kaufmännische Assistenz, Drogist/in und Bürokauffrau/mann)
- Katharina Beyer (Lehrerin an der Berufsschule für Elektro-, Veranstaltungs- und Informationstechnik Austria)
- Erich Leonhard (Lehrer an der Berufsschule für Chemie, Grafik und gestaltende Berufe)
- Stefan Schmid-Heher (Professor an der PH Wien, Zentrum für Politische Bildung)
Linktipps
- AK und Schule: Das Programm unterstützt Lehrende dabei, Schüler:innen und Jugendliche auf die Arbeits- und Berufswelt vorzubereiten. Die Themenschwerpunkte: Berufsorientierung und Bewerbung, Politische Bildung, Wirtschaftsbildung sowie Basisinformationen zu den ersten Schritten im Arbeitsleben und als Konsument:in.
- Politische Bildung im Lehrplan der Berufsschule.
- Peter Larndorfer: „Die Bedeutung der historischen Dimension“ – Historisch-Politische Bildung in der Berufsschule. In: Dreier, Werner; Pingel, Falk: Nationalsozialismus und Holocaust. Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Innsbruck, Wien 2021. S. 61-74.
- Georg Lauß, Stefan Schmid-Heher: Politische Bildung an Wiener Berufsschulen: Demokratische und autoritäre Potentiale von Lehrlingen. Wien, Februar 2017.
- Otto Wucherer: Politische Bildung an berufsbildenden Schulen. Deutschland – Österreich – Schweiz. Frankfurt: Wochenschau Verlag, 2022.
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Ambra Schuster
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig und Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
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