Klimaprotest im Diskurs
Wir kennen sie, die Bilder von langen Staus und aggressiven Autofahrer*innen. Diese spezielle Form des Klimaprotests hat im letzten Jahr ordentlich polarisiert. Aber: Was bedeutet das für die Politische Bildung? Wie können Lehrkräfte die doch heftige, gesellschaftliche Debatte sinnvoll abbilden? Und wie kann Widerstand als Basis demokratischer Errungenschaften vermittelt werden, wenn der Begriff heute teils negativ behaftet ist?
All das wollen wir uns in dieser Folge ansehen. Sie ist der zweite Teil einer Doppelfolge rund um das Thema “Widerstand und Protest” in der Politischen Bildung. In der ersten Folge ist es um die Arbeiter*innenbewegung gegangen.
Fast alle Errungenschaften moderner westlicher Demokratien sind erkämpft worden. Und zwar hart erkämpft worden, teilweise unter Einsatz des Lebens. Historische und aktuelle Bewegungen, wie die Arbeiter*innenbewegung und die Klimagerechtigkeitsbewegung dienen als Beispiele, um Schüler*innen zu verdeutlichen, wie politischer Widerstand funktioniert.
In der 4. Folge von Richtig & Falsch haben wir uns bereits einmal mit der “Generation Klimakrise” beschäftigt. Seitdem hat sich viel getan. Vor zwei Jahren ging es noch um Fridays for Future und die Legitimität von Schulstreiks. Heute haben wir es mit einer erhöhten Eskalationsstufe und neuen Protestbewegungen zu tun. Die Klimaaktivist*innen der “Letzten Generation” erhitzen mit ihren Aktionen die Gemüter. So sehr, dass manche Politiker*innen und Medien sie als “Terroristen” bezeichnen.
Radikal? Die Legitimität des Protests
Wenn es um die Klimakrise geht, erleben wir in der politischen und gesellschaftlichen Debatte momentan die komplette Bandbreite: von Verharmlosung und Verleugnung bis hin zu Panik, Weltuntergangsstimmung oder schlichtweg Resignation. Die Lage ist verzwickt, so viel ist klar.
Maja Ahrens ist Schülerin und Schulsprecherin an der HBLFA Gartenbau Schönbrunn in Wien. Sie sagt, legitimer Widerstand sollte nicht kriminalisiert werden. Ähnlich sieht das auch Nikolai Weber vom Zentrum polis. Er setzt die Aktionen der Letzten Generation in einen historischen Kontext – mit Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit:
Rückblickend lassen sich viele Formen zivilen Ungehorsams inzwischen für uns als demokratische Gesellschaft als legitim bezeichnen. Also, niemand würde auf die Idee kommen, das Frauenwahlrecht abschaffen zu wollen oder beispielsweise den Achtstundentag in Frage zu stellen.
Im Zuge der Politischen Bildung wäre es wohl ein interessantes Gedankenexperiment, wie die heutigen Aktionen der Klimaschutzbewegung in 100 Jahren von den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen eingeordnet werden.
Druck der Öffentlichkeit
Klar ist: Dass wir heute überhaupt von Klimaschutzpolitik reden, hat wohl vor allem auch mit dem breiten zivilgesellschaftlichen Druck zu tun, den es die letzten Jahrzehnte gegeben hat und immer noch gibt.
Gerade für die Politische Bildung gibt es gute historische Beispiele: Denken wir an Hainburg oder Zwentendorf. Aus diesen Bewegungen heraus sind damals die Grünen entstanden, heute – gut 40 Jahre später – sitzen sie in der Regierung. Das Bohren der dicken Bretter braucht Geduld und Energie.
Das Problem selbst – nämlich der Klimawandel – verschärft sich, ist gleichzeitig aber schwer zu vermitteln. Massenproteste und Schulstreiks werden von kontroversiellen Aktionen überschattet, die die Dringlichkeit der Sache unterstreichen sollen. Und: Die Debatte ist hitzig, die Erwartungshaltungen an die Politik gehen weit auseinander. Viele sind desillusioniert.
Wie soll die Schule auf all das reagieren?
Maja Ahrens hat konkrete Wünsche:
In der Schule wird viel über Wahlen gesprochen und man wird ermutigt, dass man wählen geht. Das ist total wichtig, aber sowas wie Demonstration und ziviler Widerstand wird viel zu wenig beleuchtet. Also, es wird vielleicht mal kurz erwähnt, und man redet über das Frauenwahlrecht und die Suffragetten. Aber es fehlt so ein bisschen der Bezug zum Hier und Jetzt. Es wird zu wenig beleuchtet, welches Potenzial in Demonstrationen liegt.
Mehr Aktualitätsbezug also. Und eine Demokratiebildung, in der nicht nur Wahlen als demokratisches Instrument vermittelt werden. Nikolai Weber hat einen Vorschlag, wie die aktuelle Debatte in den Unterricht integriert werden kann:
Die Klimaproteste – nehmen wir jetzt die Proteste der letzten Generation als Beispiel – können als gesellschaftlicher Konflikt betrachtet und analysiert werden. Welche Parteien sind in diesen Konflikt involviert und welche politischen oder ökonomischen Interessen vertreten diese verschiedenen Parteien in der Diskussion? Da kann also zum Beispiel eine Diskursanalyse gemacht werden, da kann man sich Medienausschnitte oder Zeitungsartikel anschauen. Man kann schauen: Welche Argumente werden auf beiden Seiten verwendet? Das ist eine wunderbare Methode, um zu lernen, Diskussionen zu analysieren, um Argumente herauszulesen, um sich dann ein eigenes Urteil darüber zu bilden. Da wären wir dann auch bei der politischen Urteilskompetenz. Man kann da einfach wunderbar eine Analyse fördern im Zugang zu diesem Thema. Und da muss man also überhaupt nicht eine eigene Meinung mit einbringen, es geht dann einfach nur darum, dass ich diese Analysefähigkeit fördere.
Lehrkräfte können das Interesse am Thema nutzen, um generelle Prinzipien der Politischen Bildung zu vermitteln. Zum Beispiel im Zuge einer möglichst lebhaften Debatte. Schließlich sollen Schüler*innen sich am Ende in einer komplexen Welt orientieren können.
Mehr inkludierende Momente
Es gibt nicht DIE Jugendlichen, die sich alle für Klimaschutz interessieren. Sie sind in ihren Einstellungen so heterogen wie die Gesellschaft selbst. Lehrkräfte sind also gut beraten, am Wissen, den Einstellungen und den Themen, die die Schüler*innen bewegen, anzuknüpfen und von dort weg Zusammenhänge zu erarbeiten.
Um Umweltpolitik vermitteln zu können, müsse man sie erst einmal verstehen, ist Christa Reitermayr überzeugt. Sie ist Integrationslehrerin an der Offenen Mittelschule Dietmayrgasse und Umweltaktivistin der ersten Stunde. Für Schüler*innen brauche es – auch sprachlich – mehr inkludierende Momente:
Inklusion hat auch damit zu tun, dass ich den Inhalt so weit runterbreche, dass wirklich alle mitmachen können.
Richtig oder Falsch?
Es ist richtig, dass die aktuelle Klimadebatte polarisiert und das Problem an sich enorm komplex zu erklären ist. Aber genau deshalb bieten sich viele unterschiedliche Zugänge zum Thema an: von Protesten über soziale und globale Aspekte bis hin zu praktischen Übungen in der Natur. Es wäre falsch, diese Zugänge nicht zu nutzen. Eine Debatte, die so kontrovers in der Gesellschaft geführt wird, sollte auch im Unterricht geführt werden. Die Politische Bildung kann so die Diskurskultur stärken und entpolarisierend wirken.
Zu Gast in dieser Folge sind:
- Maja Ahrens, Schülerin und Schulsprecherin an der HBLFA Gartenbau Schönbrunn
- Maximilian Kaupp, Auslandszivildiener, unterrichtet an einer Schule in Ghana, 2023 Matura am Sport- und Musik-RG Salzburg
- Christa Reitermayr, Integrationslehrerin an der OMS Dietmayrgasse, Umweltaktivistin und Radiomacherin bei Radio Orange 94.0
- Nikolai Weber, Mitarbeiter von Zentrum polis
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- „In aller Ruhe“ mit Carolin Emcke: „Demokratie demokratisieren“ – Robin Celikates über Protest und die Letzte Generation (sz podcast)
- APuZ #17: Ökologie und Demokratie (bpb APuZ podcast)
- Thema des Tages: Ist die Klimabewegung am Ende? (standard.at podcast)
- Generation Klimakrise: Was ist die Aufgabe der Schule? (Richtig & Falsch Folge 4)
Weiterführende Hinweise
- polis aktuell 2023/04: Internationale Klimapolitik
- Informationen zur Politischen Bildung, 52, 2023: Interessenvertretung (mit einem Beitrag zur Klimabewegung)
- Frostpunk | Carbon Cycle Game | Civilization VI | The Climate Trial | Animal Crossing (je eine Unterrichtsidee zu diesen fünf digitalen Lernspielen zum Thema Klimawandel)
- Informationen zur Politischen Bildung, 45, 2019: Umwelt – Klima – Politik
- Teachers for Future
Foto: Karl Schönswetter
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Ambra Schuster
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig & Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
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