„Journalismus ist keine vierte Gewalt“ Mit Michael Fleischhacker
Der Chefredakteur und Herausgeber von Addendum Michael Fleischhacker im Gespräch mit Philipp Weritz über die Anfänge, Erfolge und Hürden der Plattform, was er heute anders machen würde und warum Geduld ein Luxus im Journalismus geworden ist. Außerdem spricht er über die Rolle des Journalismus in der Demokratie und erklärt, welche Lügen wir gerne glauben.
Sie können diese Folge auf Spotify, iTunes, YouTube oder per Podcastapp hören. Hier lesen Sie drei Stichpunkte aus dem Gespräch:
Der Gedanke hinter Addendum
Unter dem Motto „Das, was fehlt“ startete die Rechercheplattform vor knapp 2 Jahren. Im Gespräch mit Dietrich Mateschitz nennt Fleischhacker die Debatte um die Lügenpresse und den Vertrauensverlust vieler Medien als einen Beginn. Abgesehen von Verschwörungstheoretikern, die glauben, dass sich ganze Medienhäuser absprechen, traf die Debatte einen wunden Punkt: Informationen in der Berichterstattung, etwa zur Flüchtlingskrise, wurden oft ausgelassen oder verzerrt.
Das hatte einerseits ökonomische Gründe, denn Recherche kostet Zeit und Geld. Güter, die knapp geworden sind für Journalisten. Andererseits fehlt ihm das Denken über den eigenen Horizont hinaus.
„Wenn eine Information zu meiner These passt, dann höre ich auf zu recherchieren. Nicht weil ich ein böser Mensch oder Spindoktor bin, sondern weil ich froh bin, mit den wenigen Ressourcen eine plausible Geschichte geschafft zu haben“.
In der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise 2015 spricht er von einem dritten Aspekt, einem „erzieherischen Journalismus“. Nichts erfinden, aber bewusst betonen und weglassen: „Viele Journalisten zeigen die Welt oft so, wie sie gerne hätten, und nicht so wie sie ist. Das hat verständlicherweise für einen Vertrauensverlust gesorgt“.Der Fall Relotius war nur deshalb möglich, weil es dem Mainstream entsprach, wie wir uns Flüchtlinge gerne vorstellen würden:
„Wir glauben Lügen gerne, wenn sie Geschichten erzählen, die wir hören wollen“.
Was tatsächlich fehlt
Keinen vorgegebenen Rhythmus zu haben, wie bei Addendum, bezeichnet er als einen unglaublichen Luxus. „Hintergrundgeschichten und Recherchen sind fertig, wenn wir sie gut finden, und nicht, wenn Redaktionsschluss ist. Das ist auch einer der Gründe, warum wir Addendum aufgebaut haben, weil viele Medien diese Ressourcen nicht mehr haben“.
Fristen und Deadlines haben auch ihr Gutes, denn „Publizieren, wann es fertig ist“ ist eine große Versuchung, nie fertig zu werden. Fleischhacker hält es mit Karl Kraus, der sagte, wenn der Journalist Zeit hat, dann schreibt er schlecht. Aber eine Geschichte nicht veröffentlichen zu müssen, wenn sie noch nicht fertig ist, hängt auch mit dem Onlineauftritt zusammen. „Kein Vergleich zu einer Tageszeitung, wie Der Presse: Die Erwartungen der Mitarbeiter, des Publikums oder der Eigentümer“.
Neben Zeit als Ressource, fehlt noch etwas in der hiesigen Medienlandschaft. Eine andere Betrachtungsweise – ist das, was als common sense gilt, wirklich so?
„Feindbild“ Hausverstand und die vierte Gewalt
Michael Fleischhacker ist, salopp gesagt, nicht der größte Fan des „common sense“. Er zitiert Lichtenberg:
„Wenn alle das Gleiche denken, denkt niemand richtig“.
Das ist nicht nur seine persönliche Einstellung, sondern auch wie er sein Handwerk als Journalist anlegt. Für Addendum bedeutet das folgendes: „Falls es ein Thema gibt, über das alle gleich berichten, stellen wir eine Hypothese auf. Was könnte fehlen? In diesem frühen Stadium spielt die Meinung natürlich noch eine Rolle“. Die Hypothese wird überprüft mit Recherchen. „Ist es so wie alle sagen? Wenn ja, dann lassen wir es so, weil wir glauben, der Konsens besteht zurecht. Es gibt oft einen vernünftigen Mainstream, wo es idiotisch wäre zu hinterfragen um des Hinterfragens Willen. Zeigen die Recherche ein anderes Bild, wird diese publiziert.
Die Rolle des Journalismus sieht er auch nicht als vierte Gewalt, die Exekutive, Judikative und Legislative überwachen soll. „Ich glaube, dass das Funktionieren von Demokratie gewisse Dienstleistungen braucht. Information ist eine davon, aber dafür gibt es einen Markt. Solang es eine gewisse Vielfalt und Dichte an Informationen gibt, können die Teilnehmer der Demokratie vernünftige Entscheidungen treffen“.
Auch die Implikation, dass eine Gewalt Teil des Staatsgefüges wäre, widerspricht seinem Selbstverständnis als Journalist. „Das Verständnis als vierte Gewalt kam auch von den Alliierten, die ein Umerziehungsprogramm vom Nationalsozialismus zur Demokratie schafften. Das hat zum Glück funktioniert, aber damit war es das auch schon“. Medien sollten sich nicht als kontrollierende, übergeordnete Rolle im Gefüge der demokratischen Institutionen verstehen.
Wer jetzt? Biografie und Links
Michael Fleischhacker, *1969, ist österreichischer Journalist und TV-Moderator. Er war Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse, moderiert aktuell auf ServusTV und ist Chefredakteur und Herausgeber der Rechercheplattform Addendum. Sie finden ihn auf Twitter.
(c) Bild: Geiginger
2 Kommentare
Matthias S Juni 07, 2019
Super Podcast !
Philipp Weritz Juni 12, 2019
Vielen Dank!
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