
🇪🇺 Europa ohne EU mit Robert Marschall
Im Rahmen des Europaschwerpunkts sollte auch ein EU-Kritiker zu Wort kommen. Robert Marschall ist Gründer und Vorsitzender der EU-Austrittspartei. Wie soll Österreich ohne die EU nach vorne kommen? Darüber hinaus ist Marschall ein großer Verfechter von (mehr) direkter Demokratie: Was hat er aus acht initiierten Volksbegehren gelernt? Ein Gespräch über die Freude und Vorbildwirkung des Brexits und mehr Demokratie.
Hier lesen Sie drei Stichpunkte aus dem Gespräch:
Gute Ideen und schlechte Umsetzung
Robert Marschall war nicht immer ein erbitterter Kämpfer gegen die Europäische Union. Bei der Volksabstimmung im Jahr 1994 über einen Beitritt Österreichs stimmte er dafür: „Hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, auch die Idee eines großen und geeinten Europas wurde uns sehr nett verkauft“. Der Bruch kam langsam, nachdem immer mehr Versprechungen gebrochen wurden. Das begann mit der Abschaffung des Schillings, ging weiter mit „scheinbarer Neutralität“ und war komplett mit der Zustimmung zur ESM-Haftung. 2011 gründete Marschall die EU-Austrittspartei.
Marschall spricht immer wieder von der Wichtigkeit des Rechtsstaats als Grundlage. „Wenn sich Länder nicht an Gesetze halten, wozu sind wir dann überhaupt in der Union?“ Das gelte für gebrochene Maastricht-Kriterien, die u.a. Schuldenstand und Haushaltsdefizit von EU-Ländern regeln, genauso wie für den Dublin III Vertrag. Dass die Gesetzgebung im Fall der Flüchtlingswelle 2015 nicht schnell genug handeln konnte, zählt für ihn nicht: „Entweder wir passen die Gesetze an, oder wir halten uns daran“.
Schweiz28 statt EU28
Es darf aber nicht beim Schimpfen bleiben, meint Marschall. „Mir schwebt ein Europa der souveränen Nationen vor. Wie macht das die Schweiz? Die verhandelt auch allein mit China“. Seine Vision geht stark von selbstbestimmenden Staaten in politischen Fragen aus, und nur einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. „Raus aus der EU, aber im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleiben“, schlägt er vor. Zwar sei es ihm egal, was die Union ohne Österreich tue, langfristig sieht er aber eine geplante und schrittweise Auflösung als zielführend an.
Vor der eigenen Tür kehren
Österreich müsse im Zuge eines EU-Austritts aber die eigene Demokratie stärken. Auch hier schwebt ihm wieder die Schweiz als Beispiel vor: „Wir müssen ja nichts neu erfinden, wir sehen wie gut das in der Schweiz funktioniert. Vierteljährliche Abstimmungen als Gegengewicht zum Parlament. Wobei ich für Österreich schon mit jährlichen Abstimmungen zufrieden wäre“.
Die direkte Demokratie liegt ihm am Herzen: Im März 2019 ging sein Volksbegehren für verbindliche Volksbegehren zu Ende, mit gut 28.000 Unterschriften. Nach Abfuhren für große Volksbegehren wie Don’t Smoke mit knapp 900.000 ein aussichtloses Unterfangen. „Wie soll man die Menschen davon überzeugen, wenn diese Bundesregierung außer Wirtschaft fördern nichts tut?“ Wieso er trotzdem weitermacht? „Was gibt es für Alternativen?“.
Lehren aus acht Volksbegehren
Insgesamt acht Volksbegehren hat er initiiert und folgende Dinge gelernt:
- Es braucht einen guten Zeitplan. Zwei Kalenderjahre hat man Zeit um zu sammeln. Die Anfangsphase ist laut ihm entscheidend für einen Erfolg.
- Die Themenlage und öffentliche Meinung sind nicht zu unterschätzen. Im Zuge der Klimakrise sieht er hier eine gute Ausgangsposition für „weniger Fluglärm, weg mit der dritten Piste und mehr Klimaschutz“.
- Die Rolle der Medien sieht er kritisch: „Zur Pressekonferenz für die ersten beiden VB ist kein einziger Journalist erschienen!“. Viele Menschen auf der Straße haben sich beschwert, dass sie nichts im Fernsehen oder in der Zeitung davon gehört hätten. Soll es eine Berichterstattungspflicht geben? Von Pflicht hält Marschall wenig, aber es muss einen Weg geben, Aufmerksamkeit auf Initiativen aus der Bevölkerung zu lenken ohne große Budgets.
Wer jetzt? Biografie und Links
Robert Marschall, geb. 1966, ist österreichischer Unternehmer und Politiker: Gründungsmitglied und Obmann der EU-Austrittspartei. Sie finden ihn auf Twitter.
Bisherige Episoden unseres Europaschwerpunkts:
#1 Nini Tsiklauri von Pulse of Europe
2 Kommentare
Hartlieb Wild, Tirol April 22, 2019
Nun, die Vorstellungen von Hrn Marschall sind Überlegungen wert, auch wenn ich sie nur in geringem Ausmaß teile. Der eine Punkt ist die direkte Demokratie mit Vorbild Schweiz. Sicher, hier wurde und wird viel Schönes versprochen, wie zum Beispiel vor der NR-Wahl 2017. Der Tiefschlag unter der kalten Dusche kam dann mit dem Volksbegehren „Don’t smoke“, denn – so die „Verarschungsargumentation“ von Strache, es hätten ja 85% [der Wahlberechtigten, Anm] das Volksbegehren nicht unterschrieben, und es wären auch – leider, leider – keine 900.000 Unterschriften geworden. Also brauchen wir Politiker, die uns ernst nehmen, statt nur an hochbezahlte Pöstchen interessiert zu sein.
Und noch etwas zur direkten Demokratie: So sehr ich für Abstimmungen bin, so sehr muß eine gute Balance zwischen ihr und der repräsentativen Demokratie gefunden werden. Also eine spezielle Art der „Checks and Balances“. Ich verweise nur auf die – hinsichtlich ehrlicher Information und gründlicher, vielseitiger Vorbereitung – desaströs verlaufenen BREXIT-Abstimmung [egal, ob man nun für oder gegen GGB als EU-Mitglied ist]. Ein zweites absolutes Negativbeispiel ist die „Minarettinitiative“ mit der Volksabstimmung 2009 in der Schweiz. Ein Beispiel, wie eine Mehrheit über eine Minderheit d’rübergefahren ist, wobei von rechts–außen durchaus rassistisch agitiert wurde. Also auch hier gibt’s eine Reihe von Tretminen …
Ein anderer Punkt: Austritt Österreichs aus der EU. Hr Marschall führt an, daß die Schweiz ja auch alleine sogar mit China verhandelt. Ja, ja, klingt gut, aber auch die Schweiz weiß die Größenverhältnisse realistisch einzuschätzen. China, mit Xi Jinping als „Kaiser“ auf Lebenszeit, entwickelt recht zügig imperialistische Weltmachtsfantasien und der laufende Aufbau der digitalen Totalüberwachung dort ist auch keine rosige Perspektive hinsichtlich der Menschenrechte. Die beiden anderen Bedrohungen sind der dumpfen Trumpismus („America First!“) und die hinterhältige Destruktionspolitik Putins mit seinen Desinformations“fabriken“ alter sowjetischer Schule.
Und da soll Österreich alleine verhandeln??? Sorry, aber das ist schlicht lächerlich – bei aller Zustimmung, daß es an der EU noch eine Menge zu reformieren und zu verbessern gibt! Übrigens: Auch die Schweiz muß mit der EU verhandeln. Beim Eindämmen des Transitwahnsinns waren sie weit intelligenter als alle österreichischen Regierungen bisher. Aber bei vielen anderen Dingen müssen sie bei Entwicklungen in der EU mitmachen. Die Schweizer sagen dazu ironisch „autonomer Nachvollzug“ … 😉
Resumée: Was bleibt ist (a) Hausaufgaben machen, was innenpolitische Reformen anlangt (statt einen Jungspund mit Message Control und popolistische Irrläufer in die Regierung zu wählen. Und (b) Hausaufgaben machen, was positive Reformen der EU angeht.
Und, worüber ich noch nicht gesprochen habe, ist die Klimaentwicklung und die „Fridays for Future“ – Kids, die für ihre Zukunft auf die Straßen gehen … Und da ist Österreich äußerst säumig und wird als kleiner Einzelkämpfer nur wenig Gehör finden.
Und, worüber ich noch nicht gesprochen habe, ist die extreme Steuer“vermeidung“ und –vernebelung internationaler, insbesondere elektronischer Konzerne, sie das akrobatische Kunststück zuwege bringen, dem Staat, der heimischen Wirtschaft und damit uns allen die lange Nase und den nackten H… zugleich zu zeigen. Ersteres, weil sie in ihrer grenzenlosen Arroganz auf nationale und regionale Gesetze ganz einfach husten, und zweiteres dann, wenn es um Steuern und Abgaben geht. Auch da gibt’s noch viele, viele Hausaufgaben …
Pingback: 🇪🇺 Besser regieren mit Melanie Sully – Demokratie21.at
Hinterlasse einen Kommentar