Europa im Unterricht – Zwischen Identität und Krise
Europa ist wieder vermehrt Thema im Unterricht, bedingt durch die aktuellen Krisen und Herausforderungen. Lehrkräfte können Jugendlichen helfen, ihren Platz in der Europäischen Union zu finden: durch die kritische Vermittlung von europäischen Problemen – aber auch und vor allem durch das Diskutieren und Erarbeiten möglicher Lösungen.
Auch in der Schule braucht es ein kritisches Europabewusstsein. Menschen müssen sich für die EU interessieren und sie kritisieren, damit sie sich weiterentwickeln kann. Wie sehen junge Menschen die EU eigentlich? Was mögen sie, was stört sie aber auch? Gibt es tatsächlich so etwas wie eine europäische Identität? Und welche EU-Institution ist nochmal wofür zuständig?
Lehrkräfte müssen viele Fragen berücksichtigen, wenn sie die EU im Klassenzimmer zum Thema machen. Oft erwartet sie Europaskepsis und Desinteresse. Wie kann eine konstruktive Auseinandersetzung mit Europa in der Schule gelingen? All das wollen wir uns in dieser Podcast-Folge anschauen.
Das E könnte noch ein wenig mehr U vertragen
Dass Österreich EU-Mitglied ist, ist selbstverständlich geworden. Vielleicht zu selbstverständlich. Erst, wenn etwas nicht funktioniert, beschäftigen wir uns mit Europa. Wenn die gemeinsame Flüchtlingspolitik nicht klappt oder Detailfragen auftauchen, die zu Aufregern hochstilisiert werden, schimpfen alle über “die in Brüssel”. Bernhard Köhle vom Verein Europify sagt:
Die europäischen Grundwerte sind sehr wertvoll: Menschenwürde, Menschenrechte, Demokratie, Freiheit, Gleichheit … Das sollte man nicht einfach leichtfertig oder aus populistischen Gründen aufs Spiel setzen.
Schülerinnen und Schülern ist oft nicht klar, was auf dem Spiel steht, sollte das europäische Projekt scheitern, meint Markus Kraushofer. Er ist Lehrer und Erasmus+ Koordinator am Bernoulligymnasium im 22. Wiener Gemeindebezirk. Das Gymnasium ist eine sogenannte Botschafterschule des Europäischen Parlaments und macht viel europapolitische Bildung.
Kati Schneeberger unterrichtet an der MS Singrienergasse in Wien/Meidling und ist Gründungsmitglied des Vereins „Vienna Goes Europe“. Ihren Schüler:innen sei vollkommen klar, dass die Probleme unserer Zeit nicht alleine, sondern eben vielfach nur nationenübergreifend gelöst werden können. Aber – reicht das, um schon von einer gemeinsamen „europäischen“ Identität sprechen zu können?
Gezielte Desinformation
Die Union ist als friedliche und freiwillige Gemeinschaft der europäischen Staaten heftigen und permanenten Gegenwinden ausgesetzt – von außen wie innen. Eine der wohl größten Gefahren: gezielte Desinformation, sogenannte Fake News. Kati Schneeberger und ihr Verein “Vienna Goes Europe” bietet Desinformationskampagnen die Stirn. Sie sieht den wichtigsten Hebel in der Medienkompetenz der Jugendlichen.
Medienkompetenz und die Mechanismen der EU zu kennen hilft, um Desinformation richtig entschlüsseln zu können. Dann wird auch leichter erkannt, wenn Europa wieder einmal als Sündenbock herhalten muss. Was – gerade bei nationalen Wahlkämpfen – eine inzwischen bewährte Taktik manch heimischer Politiker:innen geworden ist. Vor allem, was das Verstehen der durchaus komplexen Mechanismen in der EU betrifft, sieht Markus Kraushofer die Schule in der Pflicht:
Wir werden als Gesellschaft über Europa diskutieren können, wenn wir als Gesellschaft Europa verstanden haben.
Potenzial in der Aktivierung der Jugendlichen
Kinder und Jugendliche sollen sich also an der Schule ein Grundverständnis des europäischen politischen Systems erarbeiten. Am Ende soll jeder die Institutionen im Groben verstehen können – und im Idealfall für Europa begeistert werden.
Immer öfter wird politisches Kleingeld auf Kosten der Gemeinschaft gemacht. Ein echter Belastungstest für das europäische Projekt. Engagierte European Citizens könnten hier das notwendige Gegengewicht sein. Kati Schneeberger sieht großes Potenzial in der Aktivierung der Jugendlichen:
Ich glaube, dass es wichtig ist, den Schülern und Jugendlichen zu vermitteln, welche Möglichkeiten sie haben, sich einzubringen und sie dazu zu ermutigen, sich selbst Gedanken zu machen und Lösungen zu finden. Nicht immer nur die Probleme zu sehen, sondern sich aktiv damit zu beschäftigen. Wie kann man denn etwas besser machen?
Die EU kann und soll kritisch reflektiert werden. Beschönigen bringt nichts, junge Menschen bekommen die Informationen sowieso. Umso wichtiger ist es, beim Einordnen und Verarbeiten zu helfen. Larissa Lojic studiert Politikwissenschaften und Volkswirtschaft und ist European Youth Delegate der Bundesjugendvertretung. Sie sagt:
Ich hatte Lehrpersonen, die sehr begeistert von der EU waren, als überzeugte Europäer:innen, und sich auch Zeit genommen haben, uns dieses ganze Konstrukt zu erklären. Da sieht man auch, wie Lehrpersonen eigentlich dein Leben komplett verändern können.
Mobilität ist ein Schlüsselfaktor für junge Menschen. Erasmus-Programme, die jährlich verlosten Interrail-Tickets an 18-Jährige und verschiedene andere Austauschprogramme sind natürlich besonders attraktiv. Aber auch für Lehrkräfte gibt es Austauschmöglichkeiten, sagt Markus Kraushofer vom Bernoulligymnasium. Abgesehen davon könnten Lehrkräfte die europapolitische Bildung gelegentlich auch auslagern, sagt Larissa Lojic.
Richtig oder Falsch?
Es ist richtig und wichtig, die Vorzüge und Errungenschaften der EU in der Schule zu thematisieren. Und es ist wichtig, die grundlegenden Mechanismen verständlich zu erklären. Mobilitätsprogramme und Europatage können dazu beitragen. Es wäre aber falsch, ein verklärtes Bild der EU zu zeichnen. Vielmehr ist sie ein wachsendes Projekt, das noch mitgestaltet werden kann. Europa braucht – da waren sich alle Gesprächspartner:innen einig: kritische Bürgerinnen und Bürger, wenn es aus den aktuellen Krisen gestärkt hervorgehen soll. Und: Es ist aber auch ok, die EU zu wenig transparent oder zu kompliziert zu finden. Nicht zuletzt liegt es auch an der Europäischen Union selbst, immer wieder zu kommunizieren, wofür sie eigentlich steht.
Diese Podcast-Folge wurde finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Zu Gast in dieser Podcastfolge sind:
- Bernhard Köhle (Obmann Verein Europify – Unabhängiges Institut für Europäische Bildung & Integration)
- Kati Schneeberger (Lehrerin MS Sigrienergasse in Wien, Gründungsmitglied von „Vienna Goes Europe“)
- Markus Kraushofer (Lehrer Bernoulligymnasium in Wien, Seniorbotschafter im EPAS Programm und Erasmus+ Koordinator)
- Larissa Lojic (Studentin Politikwissenschaft und Volkswirtschaft, European Youth Delegate bei der Bundesjugendvertretung)
Linktipps:
- polis aktuell 2022/04: Politische Partizipation junger Menschen auf europäischer Ebene
- EUROPA in der Schule. Aktionsideen, Projekte und Angebote für SchulleiterInnen und Lehrkräfte
- Netzwerk EUropa in der Schule
- Europify – Unabhängiges Institut für Europäische Bildung & Integration
- Vienna goes Europe
- Erasmus+ Schulbildung
- Europapolitische Projekte der Bundesjugendvertretung
- Richtig & Falsch: Über Krieg & Frieden reden – Aufklärung statt Alarmismus
- Richtig & Falsch: Jugend & Demokratie – zwischen Enttäuschung und Aufbruch
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Ambra Schuster
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig und Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
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