Kampf für Arbeitsrechte: Widerstand in der Politischen Bildung
Fast alle Errungenschaften moderner westlicher Demokratien sind erkämpft worden. Und zwar hart erkämpft worden, teilweise unter Einsatz des Lebens. Historische und aktuelle Bewegungen, wie die Arbeiter*innenbewegung und die Klimagerechtigkeitesbewegung dienen als Beispiele, um Schüler*innen zu verdeutlichen, wie politischer Widerstand funktioniert.
Wie können Lehrkräfte die Arbeitnehmer*innenbewegung sinnvoll im Unterricht thematisieren? Was hat sie mit unserer Demokratie und damit auch mit politischer Bildung zu tun? Und wie können (historische wie aktuelle) Widerstandsbewegungen, die ja oft polarisieren, vermittelt werden?
All das schauen wir uns in dieser und der nächsten Folge an. Diesmal am Beispiel der Arbeiter*innenbewegung. Und in der nächsten Folge anhand der Klimagerechtigkeitesbewegung.
Demokratie und Widerstand gehören zusammen.
Sie lernen schon viel an der Schule, sie lernen viele Inhalte, sie lernen fachliche Kompetenzen, sie lernen sehr viele soziale Kompetenzen. Aber als Arbeitnehmerinnen sind sie noch relativ auf sich alleine gestellt, und die wenigsten, muss man sagen, bekommen da vom Elternhaus was mit. Deswegen glauben wir, ist es unsere Aufgabe, da auch ein bisschen was zu tun in der Richtung.
Michel Fleck, Direktor an der AHS Anton-Krieger-Gasse in Wien Liesing
Wenn es in der Politischen Bildung um die Arbeiter*innenbewegung geht, wird eines recht schnell deutlich: Den meisten Schüler*innen ist heute gar nicht mehr so richtig bewusst, wie wenig Rechte arbeitende Menschen früher hatten.
Was für uns heute selbstverständlich ist, musste im 19. Jahrhundert mühsam, Stück für Stück erkämpft werden. Ähnlich wie fast alle Errungenschaften westlicher Demokratien. Sei es das Recht auf ein Leben in Freiheit, das Recht auf Eigentum, das Wahlrecht, das Recht auf Bildung, das Recht auf medizinische Versorgung oder das Recht auf Freizeit und Erholung. Seit jeher gehen Menschen auf die Barrikaden, um mehr und gleiche Rechte einzufordern. Und auch wenn Widerstand und Protest nicht den besten Ruf haben: Demokratie und Widerstand gehören zusammen.
Arbeiter*innenbewegung ins Hier und Jetzt holen
Wer in Politischer Bildung über Menschenrechte sprechen will, kommt an der Arbeiter*innenbewegung eigentlich nicht vorbei. Lange waren politische Menschenrechte wichtiger als soziale Menschenrechte. Mit der Arbeiter*innenbewegung hat sich das geändert. Unser hoher gegenwärtiger Lebensstandard hat einen Preis gehabt und auch, dass wir heute in der liberalen, pluralistischen, demokratischen Republik leben, ist nicht so vom Himmel gefallen.
Damit Schüler*innen unsere Demokratie und damit die Gegenwart besser verstehen, müssen sie wissen, woher soziale und politische Errungenschaften überhaupt kommen: Sie sind das Ergebnis von gemeinsamer Arbeit und dem Widerstand gegen scheinbar unveränderbare Verhältnisse. Das zu vermitteln, ist eines der großen Anliegen der Politischen Bildung. Sonst müsste sich ja auch niemand für Demokratie interessieren, wenn wir nicht hoffen könnten, dass sich dadurch etwas zum Besseren ändert. Lebensumstände können gestaltet werden, das sollte hängen bleiben, sagt auch Boris Ginner, bildungspolitischer Referent der Arbeiterkammer Wien:
Wir gehen davon aus, dass gesellschaftliche Verhältnisse veränderbar sind, und dass es gewisse Interessen gibt, aufgrund derer Verhältnisse so sind, wie sie sind, und wir schauen uns an, welche Gruppen gibt es da, welche Verhältnisse, welche Interessen stehen dahinter, und wie kann man diese gesellschaftlichen Verhältnisse verändern?
Wie lässt sich all das in der Schule vermitteln?
Zuallererst muss die Arbeiter*innenbewegung ins Hier und Jetzt geholt werden, sagt Philipp Schrodt. Er ist Lehrer am BORG 3 in Wien:
Die Arbeiter*innenbewegung hat nicht ihr Ende schon hinter sich, sondern das ist etwas, das wir täglich immer wieder erkämpfen müssen und die Errungenschaften verteidigen müssen.
Ist die Verbindung zwischen Gestern und Heute einmal klar, können als nächster Punkt Interessengruppen thematisiert werden. Oder – so Philipp Schrodt – der zunehmende Verlust von Interessengemeinschaften.
Vor allem an allgemeinbildenden Höheren Schulen fehlt den Schüler*innen oft eine realistische Vorstellung von der Arbeitswelt. Das Wissen über ihre Rechte als Arbeiternehmer*innen hält sich in Grenzen. Planspiele sind eine gute Möglichkeit, um das zu ändern und organisierten Widerstand erlebbar zu machen.
Michel Fleck wünscht sich mehr Aufmüpfigkeit – von Schüler*innen, aber auch von Lehrkräften. Der Status Quo wird oft als gegeben hingenommen und nicht mehr verhandelt. Dadurch verschwinde aber immer mehr das Bewusstsein dafür, wie und welche Interessen in unserer Gesellschaft miteinander konkurrieren.
Das Wesen der Demokratie ist der Streit!
Wenn wir immer nur lernen abzuwägen und den berühmten goldenen Mittelweg zu gehen, leidet die politische Debatte, sagt Boris Ginner. Wir leben nun mal in einer Gesellschaft voller Widersprüche. Es gibt unterschiedliche Interessen, die man erkennen muss, um etwa in Verhandlungen nicht über den Tisch gezogen zu werden.
Stichwort Verhandlungen: Da checken Schüler*innen oft erstaunlich schnell, wie wichtig Solidarität ist, erzählt Philipp Schrodt aus seiner Workshop-Erfahrung.
Sozial benachteiligte Menschen brauchen mehr Zeit, um für ihr Leben versorgt zu sein. Wenn man sich keinen guten Stundenlohn aushandeln kann, wird es mit der gesellschaftlichen, sozialen und politischen Teilhabe also schwierig. Ein politisches Bewusstsein muss man sich leisten können, sagt Anna Daimler, Generalsekretärin der Gewerkschaft vida:
Wenn ich jeden Tag schauen muss, wie ich über die Runden komme, habe ich andere Voraussetzungen für politische Teilhabe, als wenn ich zumindest ein wenig Zeit und vielleicht auch Geld übrig habe.
Richtig oder Falsch?
Es ist richtig und wichtig, Schüler*innen Zeit und Raum zu geben, um die aktuellen Verhältnisse und Interessen der Arbeitswelt zu reflektieren. In spielerischen Settings können sie etwa Ungerechtigkeiten erkennen und durch Verhandlungen lernen, wie sie zu einem besseren Ergebnis als Gruppe kommen. So können sie ein gemeinsames politisches Bewusstsein entwickeln.
Es wäre falsch, den Schüler:nnen zu vermitteln, dass Arbeitsbedingungen nicht verändert werden können und man sich damit arrangieren müsse. Und es wäre ebenso falsch, Streit und Konflikt im Sinne des goldenen Mittelwegs zu vermeiden, nur weil dieser gesellschaftlich erwünschter wäre. Demokratie und Widerstand gehören schließlich zusammen.
Zu Gast in dieser Folge sind:
- Anna DAIMLER, Generalsekretärin der Gewerkschaft vida
- Boris GINNER, Bildungspolitischer Referent in der AK Wien
- Michel FLECK, Direktor an der WMS/RG/ORG Anton-Krieger-Gasse, Wien
- Philipp SCHRODT, Lehrer am BORG 3, Workshop-Trainer für die AK Wien (Abteilung für Bildungspolitik)
Linktipps
- Arbeitswelt und Schule: https://wien.arbeiterkammer.at/aws
- Planspiele zu Sozioökonomie und Wirtschaftsbildung
- https://wien.arbeiterkammer.at/beratung/bildung/arbeitsweltundschule/workshops/planspiele.html
- Plattform Wirtschaft erleben https://wirtschaft-erleben.at/
Beiträge zum Thema Arbeit auf Österreich 1918+
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- Tschikweiber – Arbeiterinnen, Hausfrauen und Mütter: https://www.politik-lexikon.at/oesterreich1918plus/1935/
- Urlaub und Freizeit in den 1950er-Jahren: https://www.politik-lexikon.at/oesterreich1918plus/1959/
- Wirtschaftswunder am Küchentisch: https://www.politik-lexikon.at/oesterreich1918plus/1965/
- Metallerstreik zu Beginn des „Goldenen Zeitalters“ der Sozialpartnerschaft: https://www.politik-lexikon.at/oesterreich1918plus/1960/
- polis aktuell Arbeit https://www.politik-lernen.at/pa_arbeit
- polis aktuell Care-Arbeit und Pflege https://www.politik-lernen.at/pa_carearbeit
- Station des Ersten Wiener Protestwanderwegs zur Geschichte der Gewerkschaftsbewegung:
- https://www.protestwanderweg.at/gpadjp/
- 1928 bis 1938: Die Erste Republik – ein schwieriger Start, Schwerpunkt Arbeit: https://www.politik-lernen.at/site/shop/editionpolis/shop.item/106428.html
- Museum Arbeitswelt, Steyr https://museumarbeitswelt.at/
Redaktion: Patricia Hladschik, Nina Schnider, Karl Schönswetter und Ambra Schuster
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig & Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
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