Mehr Sprachen, mehr Potential – Und welche Rolle die Schule dabei spielen kann
In dieser Podcast-Folge geht es um Mehrsprachigkeit. Österreich ist ein vielsprachiges Land. Das wird auch in der Schule deutlich. Mehr als ein Viertel der Schüler*innen in Österreich, in Wien sogar mehr als die Hälfte, sprechen im Alltag nicht Deutsch. Damit muss in der Schule umgegangen werden. Oft funktioniert das gut und mehr Sprachen werden als Gewinn und nicht als Last gesehen. Aber: es hängt eben noch immer oft auch davon ab, WELCHE Sprachen die Zweit- oder Drittsprachen sind.
Was bedeutet es, Jugendliche in ihrer sprachlichen Realität abzuholen? Wie gehen Lehrkräfte mit Mehrsprachigkeit in der Klasse um? Wie gelingt ein ressourcenorientierter Zugang, der die Kompetenzen der Schüler*innen schätzt und nutzbar macht? Und wie kann die gesellschaftliche Kontroverse rund um Deutschförderklassen & Co in der Politischen Bildung bearbeitet werden?
Sozialer Zusammenhalt
Mehrsprachigkeit sollte in einer globalisierten Welt ja eigentlich was Selbstverständliches sein. Trotzdem wird seit Jahren intensiv diskutiert, in welcher Sprache Schüler*innen in der Pause reden dürfen. Sollten sie nur Deutsch sprechen? Oder dürfen sie doch auch in ihrer Alltagssprache kommunizieren? Das Thema polarisiert.
Österreich war ja mal ein unfassbar großes Reich. Diese Sprachen sind immer noch dementsprechend sehr präsent in diesem Land. Ich finde, dass zum Beispiel offizielle Papiere auch in diesen Sprachen vorhanden sein müssen, weil wir sind halt kein homogenes Land. Wir sind sehr heterogen und diese Heterogenität muss jetzt wirklich auch aktiv etabliert werden in so bürokratischen Sachen, vor allem wenn es um Schule geht. Sihaam Abdillahi
Als sie mit acht Jahren als Flüchtling aus Bosnien ankam, war ihr Rettungsanker ihre Lehrerin, weil die hat es verstanden, dass sie nicht alles verstehen kann und dass das nicht Böswilligkeit ist. Und hat das auch den anderen Kindern so erklärt, dass sie gut Eingang gefunden hat in diese Gemeinschaft. Wenn eine Lehrerin das verabsäumt oder die Kinder alleine stehen lässt oder den Eltern gegenüber sehr fordernd ist und das Kind merkt, dass es da starke Widersprüche gibt, dann sind Kinder arm, weil dann sitzen die zwischen zwei Sesseln und werden von niemanden wirklich unterstützt. Gabriele Lener
Es braucht also Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen, vor allem auch wenn es um die Akzeptanz in der Klassengemeinschaft geht. Mehrsprachigkeit gehört in Österreich zum Alltag, und ist auch entsprechend politisch aufgeladen. Diskussionen, wer welche Sprache sprechen kann, soll oder muss, gehen auch an der Schule nicht vorbei. Die Expert*innen, mit denen wir gesprochen haben, sind sich aber einig: Verbote tragen nicht wirklich zum sozialen Zusammenhalt bei.
Fördern und Fordern
Das Kind kann sowieso nicht alles auf einmal lernen. Das heißt, der Fokus sollte vielleicht auf einem Bereich sein, wie Lew Wygotski sagt, an der Zone der nächsten Entwicklungsstufe, der proximalen Zone soll man ansetzen. Das heißt, das ist auch für mich ein sehr nützlicher Tipp für den Alltag. Und daran orientiere ich mich auch, dass ich schaue: ,Okay, was kann das Kind und was wäre die nächste Stufe? Herausfordernde Stufe?´Und da setze ich dann an, weil ich will das Kind nicht nur fördern, sondern auch bisschen fordern. Mehmet Tenkir
Es geht vor allem um Kommunikation auf Augenhöhe, um das Anerkennen von Kompetenzen und darum, die Kinder ernst zu nehmen. Die Grundhaltung muss passen und es braucht Vertrauen. Dann kann man anhand des Themas Sprache auch gut das Miteinander in einer Klassengemeinschaft diskutieren.
Ich muss Kindern beibringen, dass ihre Mehrsprachigkeit nicht das Problem ist, sondern dass sie jemanden ausschließen. Natürlich könnt ihr euch auf Türkisch unterhalten, auf Bosnisch unterhalten, aber um respektvoll miteinander umzugehen, wenn jemand neben euch sitzt und mit euch redet, dann kann das unhöflich sein. Nicht meine Sprache ist das Problem, sondern mein Verhalten. Das heißt, ich muss nicht direkt auf meine Sprache achten, sondern wie verhalte ich mich der gegenüberliegenden Person? Ali Dönmez
Richtig und Falsch?
Schule soll ein Ort sein, an dem Kinder und Jugendliche wachsen können, egal welche Sprache sie sprechen. Es ist deshalb richtig und wichtig, Sprachen als gleichwertig zu sehen und damit auch allen Schüler*innen auf Augenhöhe zu begegnen. Im Gegenzug ist es aber falsch, Kindern und Jugendlichen ihre Alltagssprache – etwa in der Pause – zu verbieten. Das würdigt sie herab und verstärkt bestehende Machtungleichheiten in der Gesellschaft. Und nicht zuletzt macht es Sinn, all diese Fragen in der Politischen Bildung auch mit den Schüler:innen selbst zu bearbeiten, damit nicht über sie, sondern mit ihnen verhandelt wird.
Ambra Schuster im Gespräch mit:
- Sihaam Abdillahi (ehemalige Schulsprecherin und Maturantin der AHS Geringergasse, Wien)
- Ali Dönmez (Logopäde für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache)
- Gabriele Lener (Direktorin der Volksschule Vereinsgasse, Wien)
- Mehmet Tankir ( Referent für Diversität an der Pädagogischen Hochschule Wien und Lehrer an der Praxismittelschule, Wien)
Links:
- polis aktuell 5/2021: Sprachenrechte
- Portfolio zur kulturellen und sprachlichen Identität (Mari Varsanyi)
- Handbuch Sprachenvielfalt als Chance (Basil Schader)
Trio im Unterricht (Schule mehrsprachig) - polis aktuell 2/2016: Transkulturelles und Interkulturelles Lernen
- Materialien Mehrsprachigkeit (Eduthek)
- 26. September: Europäischer Tag der Sprachen
Hören Sie hier eine weitere Folge von Richtig und Falsch: Inklusion in der Schule: So gelingt Bildung für alle
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig und Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, der Arbeiterkammer Wien und Demokratie21.
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