🇪🇺 Die Vermessung der Meinung mit Cornelius Hirsch
Über die nächsten Wochen werden hier Menschen zum Gespräch geladen, die aus Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Startups, NGO und mehr einen anderen Blick auf Europa haben. Wir stellen allen drei Fragen: Wie denken wir Europa von Grund auf neu? Welches eine Gesetz würden sie auf Europaebene beschließen? Was hat sie politisiert?
In der zweiten Folge zu unserem Europaschwerpunkt trafen wir Cornelius Hirsch. Er ist der Co-Gründer und Leiter von Poll of Polls, einer Plattform für Wahlumfragen, die aus ganz Europa Daten aggregiert und auswertet. Diese Idee hat dem Medium POLITICO so gut gefallen, dass es Poll of Polls gekauft hat. Ein Gespräch über die Liebe zur Wissenschaft, warum er bei fast jedem Abendessen über Politik spricht, diese aber nicht selbst machen möchte und wo die Grenzen der Meinungsforschung sind.
Plus: Seine Einschätzung zu den kommenden EU-Parlamentswahlen exklusiv im Podcast.
Europas Antwort auf 538
„Begonnen hat alles während dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016. Ich war täglich auf fivethirtyeight.com und hab mir gedacht, warum gibt es sowas nicht auch für Europa?“ FiveThirtyEight ist eine Nachrichtenwebsite die Statistiken und Einschätzungen für Wahlumfragen liefert, Hirsch gründete davon inspiriert „Poll of Polls“. Gemeinsam mit einem Studienkollegen begannen sie 2017 mit den niederländischen und anschließend den französischen Wahlen. Sein Kollege Peter Reschenhofer programmierte die Website und Skripts, Hirsch übernahm die Datenarbeit. „Täglich Wikipedia, Umfrageseiten, Nachrichtenseiten oder sogar Twitter nach den neuesten Statistiken durchsuchen. Hoffen, dass es jemand eingegeben hat und während dem Frühstückskaffee eintippen“.
Neben dem Vollzeitjob wird Poll of Polls aufgebaut. Hirsch arbeitet bis vor kurzem am WIFO und ist Doktorand an der Wirtschaftsuniversität. Nach und nach kommen mehr Länder mit mehr Wahlen dazu. Der Bedarf viele Befragungen an einem Ort zu sammeln und auszuwerten, kam von ihm selbst. „Was ich wollte, gab es nicht. Also habe ich es selbst gemacht, weil ich immer wissen wollte, wie es steht“. Nachdem jedes Land in der EU online war, ging es schnell nach oben. Anfragen von internationalen Medien von Washington Post bis Le Monde trudeln ein, im Sommer 2018 trifft er Ryan Heath von Politico Europe am Forum Alpbach und die Gespräche beginnen.
Zur Verteidigung und Grenzen der Meinungsforschung
Hirsch verteidigt die Meinungsforschung, die vor allem nach der Wahl von Trump in die Kritik geraten ist. „Niemand hat einen Sieg von Trump ausgeschlossen, seine Chancen lagen bei etwa 30 Prozent“. Die Verantwortung sieht er eher bei Journalisten und Medien, die aus einer Momentansicht gerne eine Schlagzeile machen:
„Eine Umfrage ist wie ein gutes Parfüm, man soll daran riechen, aber nicht davon trinken“,
sagt Hirsch und gibt zu diesen Satz von Mathias Strolz gestohlen zu haben. Er sieht auch die Meinungsforscher stärker in der Pflicht, das Risiko und die Schwankungsbreite zu erklären.
Inspiriert aus einem Interview mit Regula Stämpfli fragt Philipp Weritz nach den Grenzen: Nur, weil man Demokratie vermessen kann, heißt das auch, dass man sie vermessen soll? „Das ist eine Frage, die ich mir selbst auch stelle. Aber es gehört zu meinem Menschenbild dazu, dass Wähler und Wählerinnen mündig sind. Und nur informierte Bürgerinnen sind informierte Wählerinnen“. Hirsch sieht seine Rolle als Unterstützer und Aufklärer, der sich aufgebauschten Nachrichten auch entgegenstellen kann.
„Als Herr Berlusconi in Italien seine Kandidatur bekannt gab, war das ein großer Tumult. Wenn man sieht, dass er einer Partei mit acht Prozent vorsteht, relativiert sich das wieder“.
Politisierung á la Ländle
Der gebürtige Vorarlberger ist seit jeher neugierig wenn es um Politik geht. „Ich kann mich gar nicht erinnern, jemals nicht politisch interessiert gewesen zu sein. Bei uns zu Hause wird bei jedem Abendessen mindestens einmal über Politik geredet“. Mit einem christlich-sozialen Großvater, der sich schon für Umweltagenden einsetzte, war ebenfalls ein Grundstein gelegt. Als dritten Faktor sieht Hirsch die Schulpolitik. „Ich war Klassensprecher, Schulsprecher, dann in der Landesschülervertretung. Einen ordentlichen politischen Streit im besten Sinne auszutragen war einfach wahnsinnig spannend“. Allerdings sieht er bereits erste Anzeichen von Parteipolitik, die ihn abschrecken. Sachliche Auseinandersetzungen finde er sehr spannend, aber mit Anliegen einer Partei im Hintergrund zu diskutieren, will er nicht. Ob er jemals die Seiten wechselt? „Vielleicht als Politikberater“.
Wer jetzt? Biografie und Links
Cornelius Hirsch, Jg. 1990 ist PhD-Student an der WU Wien und Leiter & Co-Gründer von Poll of Polls. Bald Teil von Politico EUROPE. Sie finden ihn auf Twitter.
Teil 1 unseres Europaschwerpunkts mit Nini Tsiklauri.
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