Genderkompetenz im Klassenzimmer : Gegen Sexismus, Stereotype und blinde Flecken
Wie können Lehrpersonen Vorurteile und Rollenbilder aufbrechen? Wie gelingt es, Geschlechtergerechtigkeit nicht nur als Wert zu vermitteln, sondern auch im Klassenzimmer zu leben? Und wie steht es eigentlich um die eigenen Denkmuster und Rollenvorstellungen?
Geschlechterstereotype und Rollenbilder
Auch heute, im Jahr 2021, sind Geschlechterstereotype und Rollenbilder großes Thema im Klassenzimmer. Verinnerlichte Rollenbilder gibt es aber nicht nur unter den Schüler*innen. Auch Lehrkräfte haben blinden Flecken.
Warum gendergerechter Unterricht wichtig und notwendig ist, wissen wir. Trotzdem wird das Thema oft als mühsam empfunden. Bernhard Müllner, der zu einer jungen Generation von Lehrkräften gehört, hat im Gespräch aber nochmals in Erinnerung gerufen, warum wir trotzdem darüber reden müssen:
Wenn wir die Schüler*innen nicht anregen, diese gewissen Stereotypen zu reflektieren, dann rauben wir den Schüler*innen in gewisser Weise die Zukunft – denn dann können sie sich nicht ausleben, können sie nicht das werden, was sie eigentlich wollen und verbleiben in diesen typischen Rollenbildern. Was absolut wichtig ist: dass wir den Schüler*innen aufzeigen, was alles möglich ist, was sie alles werden können.
Stolpersteine und blinde Flecken
Bevor Lehrkräfte überhaupt über Geschlecht und Rollenbilder im Unterricht sprechen können, müssen sie sich mit sich selbst beschäftigen. Denn natürlich hat uns die Welt, in der wir leben und aufgewachsen sind, geprägt. Damit Lehrkräfte nicht über ihre verinnerlichten Rollenbilder stolpern, sollten sie also reflektieren.
Philipp Leeb: Genderkompetenz ist die Reflexion mit sich selber im Geschlecht. Darüber nachzudenken, was macht mich in meinem Geschlecht aus? Als Mann. Wie wirke ich als Mann? Wie bin ich als Bub erzogen worden? Wie war mein Vater? Wer waren meine Vorbilder?
Ist man sich der eigenen Voraussetzungen einmal bewusst, lohnt es sich, den Blick nach außen zu schärfen. Gelten für Schülerinnen wie Schüler die gleichen Bedingungen? Ist die Benotung gleich fair? Wie wirkt mein eigenes Verhalten als Frau oder als Mann auf meine Schüler*Innen? Und wo gibt es Situationen, in denen Genderstereotype nicht entkräftet, sondern womöglich sogar befeuert werden?
Die Stolpersteine für Lehrkräfte sind zahlreich. Wichtig ist, immer wieder Ausschau nach möglichen Ungleichheiten und Rollenmustern zu halten. Und dann im nächsten Schritt auch ganz bewusst entgegenzusteuern.
Vorbilder abseits von Genderklischees
Je nach Background braucht es unterschiedliche Herangehensweisen, um Schüler*innen für das Thema Gender zu sensibilisieren. Manchmal kann es zum Beispiel auch sinnvoll sein, mit Burschen und Mädchen in getrennten Gruppen zu arbeiten, erzählen Emina Saric und Natascha Taslimi. Einfach, weil unterschiedliche Themen wichtig sind und so auch besser besprochen werden können.
Aber was tun, wenn Schüler*innen sich von Haus aus sexistisch verhalten oder in toxischen Rollenbildern denken? Auf jeden Fall ansprechen, darin waren sich alle Gäste einig. Auch dann, wenn sich eine Lehrkraft selbst sexistisch angegriffen fühlt von einem Schüler.
Stereotype können durch Sprache bestärkt oder – im Idealfall – aufgebrochen werden. Indem bei Männern zum Beispiel andere, „weichere“ Männlichkeitsbilder vermittelt werden, und bei Frauen genau umgekehrt. Auch hier geht es wieder um Vorbilder, abseits von Genderklischees. Aber das mit den Vorbildern ist so eine Sache. In der Kindheit sind es oft die eigenen Eltern, später suchen sich Schüler*innen ihre Idole aber auch oft in Medien. Auch damit sollte man sich auseinandersetzen.
Natascha Taslimi versucht, ihren Schüler*innen bewusst zu machen, dass Sprache bestimmte Bilder in unseren Köpfen entstehen lässt:
Da gibt es einen Artikel über die Mondlandung, wo die Mathematiker bewundert werden, dass sie diese Berechnungen so gut hingekriegt haben. Wenn ich Ihnen dann sage, dass dieses Programm überwiegend Frauen geschrieben habe, findet ein Umdenkprozess statt. Weil dort Mathematiker steht, kommt niemand auf die Idee, dass das die Leistung von Frauen ist.
Fazit
Halten wir also fest: Blinde Flecken haben wir alle. Genau deshalb sollten wir das eigene Verhalten immer wieder reflektieren. Es ist richtig, sexistisches Verhalten von Schüler*innen anzusprechen und sie zum Nachdenken zu bringen. Es ist auch richtig und wünschenswert, seinen Unterricht so zu gestalten, dass Schülerinnen wie Schüler sensibilisiert werden und sich darin auch abseits von Stereotypen wiederfinden können. Es wäre falsch, das Thema Gender nicht aufzugreifen, nur weil es oft als mühsam und vermeintlich nicht so wichtig empfunden wird.
Ambra Schuster im Gespräch mit:
- Philipp Leeb – poika, Verein zur Förderung von gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht
- Emira Saric – Pädagogische Hochschule Graz
- Natascha Taslimi – Kolleg für Elementarpädagogik BAfEP 8
- Bernhard Müllner – Gymnasium Rosasgasse, 1120 Wien
Links
- poika – Verein zur Förderung von gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht
- efeu – Verein zur Erarbeitung feministischer Erziehungs- und Unterrichtsmodelle
- Renate Tanzberger, Claudia Schneider, Naomi Lobnig: Gleichstellung spielerisch thematisiert. Wien: Verein efeu, 2020. 152 Seiten. Sieben Spiele rund um die Themen „Rollenbilder“, „Berufe/Lebensplanung“, „Beziehung/Familie“, „Körper/Sexualität“ und „Gewalt/-prävention“. Ausführliche Beschreibung, Kopiervorlagen und didaktische Anregungen.
- Patricia Hladschik, Heidrun Aigner: Frauenrechte. polis aktuell 2/2021. Wien: Zentrum polis, 2021. 20 Seiten. Geschichte der Frauenrechte, die UN-Frauenrechtskonvention, Unterrichtsbeispiele.
- Lila Tipp – Lesben- und Trans*Bestärkung
- Türkis Rosa Tippp – Trans*SchwulenQueer-Beratung und Treffpunkt
- Unterrichtsprinzip „Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung“
Hören Sie hier eine weitere Folge von Richtig und Falsch: Chancengerechtes Klassenzimmer: Vom Rand in die Mitte
Alle Folgen finden Sie hier.
Richtig und Falsch ist ein Kooperation von Zentrum Polis – Politik lernen an der Schule, Demokratie21 und der Arbeiterkammer Wien.
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